aus: junge Welt vom 28.12.2016
Law-and-Order-Forderungen der CSU
Eine Woche nach dem Lkw-Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt sind etliche Fragen zum Täter und dem Tathergang offen. Bevor Anis Amri am 19. Dezember mutmaßlich mordete, wurde er schon lange Zeit als sogenannter terroristischer Gefährder überwacht, sogar ein Ermittlungsverfahren wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat hatte es gegeben. Natürlich heißt es erst einmal nichts, auf einer »Gefährder«-Liste zu landen, außer dass die Sicherheitsbehörden eine mögliche, nicht näher bestimmte Gefährdung von einer Person ausgehen sehen. Es ist zudem relativ einfach, aufgrund der Einschätzung einer Behörde ohne richterliche Kontrolle auf eine solche Liste zu geraten. Das weiß die Polizei selbst am besten. Und es ist klar, dass nicht jeder vermeintliche Gefährder rund um die Uhr überwacht werden kann. Bei Anis Amri handelte es sich allerdings um eine Person, die sich nachweislich aktiv mit Anschlagsvorbereitungen, mit Möglichkeiten zum Massenmord und Bewaffnung beschäftigt hatte. Schon mit bestehenden gesetzlichen Mitteln hätte Anis Amri in Gewahrsam genommen oder zumindest engmaschig überwacht werden können. Das aber geschah aus bislang unbekannten Gründen nicht.
Auf der Sondersitzung des Bundestagsinnenausschusses zwei Tage nach dem Attentat waren zwar vom Bundesinnenminister über die Chefs von Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz bis zur Generalbundesanwaltschaft alle mit dem Fall befassten Behörden hochrangig vertreten. Doch den Abgeordneten wurde nur kalter Kaffee serviert, über Fehler und Pannen der Behörden erfuhren sie erst nach und nach aus den Medien.
Wo Aufklärung und Aufarbeitung geboten wäre, tritt die CSU während ihrer Klausursitzung lieber die Flucht nach vorne an und trägt mit ihrem nachweihnachtlichen Wunschzettel zugleich zur Vernebelung möglichen Behördenversagens in Sachen Amri bei. Gefordert wird das bekannte Law-and-Order-Instrumentarium – von weiterer Verschärfung der Abschiebepraxis über die Ausweitung der Befugnisse von Polizei und Verfassungsschutz bis zur elektronischen Fußfessel für nicht näher definierte »Extremisten« und der Schaffung eines neuen Haftgrundes »Gefährder«.
»Pauschal bei jeder Gesetzesverschärfung Datenschutzrechte oder Missbrauchsgefahren in den Fokus zu rücken, ist der falsche Ansatz«, bekennt sich die CSU in ihrem Leitantrag zum eigenen Grundrechtsnihilismus. Das CSU-Papier nennt den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt einen »beispiellosen Angriff auf unsere offene Gesellschaft«. Allerdings wird diese »offene Gesellschaft« von zwei Seiten attackiert: Von dschihadistischen Terroristen einerseits und den schwarzen Sheriffs der Unionsparteien andererseits, die dieses Land gerne in einen Überwachungsstaat nach Vorbild von Orwells Roman »1984« verwandelt sehen wollen. Weder den einen noch den anderen dürfen wir unsere demokratischen Freiheiten opfern.