Rede zu TOP 8 der 218. Sitzung des Deutschen Bundestages am Donnerstag, dem 16. Februar 2017
Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eine bundesweite Präventionsstrategie gegen den gewaltbereiten Islamismus Drucksache 18/10477
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Wendt, Ihr Beitrag hat mir gezeigt, wie wichtig der Antrag der Grünen ist und auch, dass wir wieder einmal über Prävention sprechen.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich habe selten erlebt, dass jemand überhaupt nicht zwischen der Prävention, die verhindern soll, dass ein Mensch Straftaten begeht, und der Strafverschärfung bzw. Repression – diese wird erneut zum Thema gemacht – unterscheiden kann. Das sind zwei ganz verschiedene Bereiche. Dabei sollten wir bleiben. Wir werden über die Gesetzentwürfe, die Sie in den nächsten Wochen einbringen werden, noch diskutieren. Aber ich bin der Meinung, dass eine Präventionsstrategie ausgesprochen wichtig für unser Land ist. Aber es gibt keine Präventionsstrategie. Diese haben Sie sträflich vernachlässigt. Deswegen leisten die Grünen mit ihrem Antrag einen wichtigen Beitrag.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Hunderte vor allem junge Männer in Deutschland sind in den vermeintlich Heiligen Krieg zum Beispiel nach Syrien gezogen. Dort begehen sie in der Tat schwerste Verbrechen, vergewaltigen und morden. Einige verloren ihr Leben als Kanonenfutter für den sogenannten „Islamischen Staat“. Andere kommen verroht und traumatisiert nach Deutschland zurück. Ich bin mir ziemlich sicher im Unterschied zum Kollegen Wendt: Viele dieser jungen Menschen wären, hätte man sie rechtzeitig in Präventionsprogramme integriert bzw. ihnen Hilfe angeboten, einen anderen Weg gegangen.
Ich glaube, Herr Kollege Wendt, auch durch Fußfesseln und Gefährderhaft wird man das nicht wesentlich ändern. Deswegen ist es wichtig, dass Präventionsarbeit die Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrung ernst nimmt und auf die Beseitigung sozialer Barrieren hinwirkt.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir als Linke haben uns seit langer Zeit für unabhängige Beratungsstellen zur Prävention eingesetzt. Einige Projekte – das ist hier schon von der Kollegin Mihalic gesagt worden – haben sehr vorbildliche Arbeit geleistet. Deren Arbeit muss aber durch dauerhafte finanzielle Förderung ausgeweitet und verstetigt werden. Was aber nicht angehen kann – das machen Sie zum Beispiel von der Union jetzt -, ist, dass Projekte, die zuvor gegen Rechtsextremismus gekämpft haben bzw. in denen präventiv gegen Rechtsextremismus gearbeitet wurde, jetzt kurzerhand für den Kampf gegen den gewaltbereiten Islamismus umgewidmet werden.
(Marian Wendt (CDU/CSU): So was von realitätsfern! -Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt nicht!)
– Doch, das stimmt. – Leider geschieht das mancherorts, und über die Projekte können wir gerne im Ausschuss diskutieren, wenn wir den Antrag dort beraten.
(Michael Frieser (CDU/CSU): Jedes einzelne! – Marian Wendt (CDU/CSU): Gern! Jederzeit!)
Ich denke, darüber hinaus sollte eine Lehre sein – das kennen wir auch von den Aussteigerprojekten in der Naziszene -, dass Sicherheitsbehörden, insbesondere der Verfassungsschutz, auch hier außen vor bleiben sollten; denn wir haben oft genug erlebt, dass gerade diese Behörden versuchen, in dieser Szene V-Leute zu rekrutieren, anstatt wirklich Vertrauen aufzubauen und zu helfen. Ich denke, Angehörige und Freunde müssen die Gewissheit haben, dass ihre Informationen nicht beim Geheimdienst landen. Sie müssen das Vertrauen haben, dass sie zu solchen Beratungsstellen gehen können.
Außerdem möchte ich noch ansprechen, dass es sehr wichtig in der Präventionsarbeit ist, die Verbände der Muslime einzubeziehen. Es darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen, der notwendigen Bekämpfung des gewaltbereiten Islamismus liege eine islamfeindliche Haltung zugrunde. Doch auch hier müssen wir genau hinschauen, keine Frage. Wir haben gerade gestern Hausdurchsuchungen bei dem Islamverband DITIB erlebt. Auch hier sollten wir genau hinschauen. Diejenigen Imame, die dort im Auftrag von Erdogan spionieren – teilweise geschieht das -, können keine Partner für den Kampf gegen den gewaltbereiten Islamismus sein.
Deswegen erheben wir als Linke ganz klar die Forderung nach Staatsferne der Beratungsstellen. Wir sagen eindeutig: Das gilt nicht nur für die Verfassungsschutzbehörden, sondern auch für die ausländischen Regierungen. Deswegen möchte ich einen kritischen Punkt im Antrag der Grünen ansprechen. Sie haben in dem Antrag die Forderung, einen bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht einzuführen. Das halte ich für kontraproduktiv. Religionsunterricht sollte unserer Meinung nach generell nicht an staatlichen Institutionen erfolgen. Das gilt auch für den christlichen Religionsunterricht. Wir wollen einen übergreifenden Religionsunterricht. Die Konfessionen sollen nicht getrennt werden. Wir wollen, dass es eine Toleranz gegenüber allen Glaubensbekenntnissen gibt.
(Marian Wendt (CDU/CSU): Wenn Sie alle abschaffen wollen, wie wollen Sie dann tolerant sein?)
Deswegen haben wir zum Beispiel das Brandenburger Modell „Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde“ favorisiert.
Vizepräsident Johannes Singhammer:
Frau Kollegin, Sie denken an die Redezeit?
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Ja, ich komme sofort zum Schluss. – Wir sind uns sicher alle einig: Prävention beruht zweifellos auch auf einer guten Sozialpolitik.
(Marian Wendt (CDU/CSU): Integration, ja!)
Vor allen Dingen darf es nicht zur Ausgrenzung kommen, wenn Menschen einen ausländischen Namen haben. Auch das ist in unserer Gesellschaft immer noch sehr präsent.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)