Sicher in den Tod

Bundesinnenminister bestätigt Risiken für afghanische Zivilisten – und will ­trotzdem weiter abschieben. Lage im Land wird schöngeredet.

 

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wirbt massiv für Abschiebungen nach Afghanistan und setzt die Bundesländer verstärkt unter Druck, seinem Willen zu folgen. Dabei nimmt er ausdrücklich in Kauf, dass die Abgeschobenen einem hohen Todesrisiko ausgesetzt sind: »Die normale zivile Bevölkerung ist zwar Opfer, aber nicht Ziel von Anschlägen der Taliban«, verkündete de Maizière am Montag abend in den ARD-»Tagesthemen«. Das sei »ein großer Unterschied«. Sogenannte Kollateralschäden an Zivilisten werden damit den afghanischen Bürgerkriegsparteien genauso großzügig zugestanden, wie sie die NATO seit Jahren selbst für sich in Anspruch nimmt.

Unterdessen wird die Lage in Afghanistan immer blutiger: Vor gerade einmal zwei Wochen stellte die dortige UN-Mission ihren Bericht für 2016 vor, nach dem im vorigen Jahr 11.418 Zivilisten durch Kriegshandlungen verletzt oder getötet wurden. Das ist der höchste Stand, seit 2009 begonnen wurde, die Zahl ziviler Opfer zu erfassen. 61 Prozent davon gehen laut UN auf das Konto der Aufständischen, 23 Prozent wurden von den Regierungskräften bzw. ihnen nahestehenden Milizen verursacht, weitere von westlichen Luftangriffen.

Ungeachtet dieser Tatsachen hatte die Bundesregierung schon in der Vergangenheit den Taliban bescheinigt, sie hätten »glaubhaft versichert«, zivile Opfer vermeiden zu wollen. Asylrechtlich gesehen, begründet das allerdings keinen Unterschied: Menschen, die vor Kriegsereignissen fliehen, haben einen Schutzanspruch, unabhängig davon, ob sie »gezielt« oder nur zufällig zum Opfer von Anschlägen und Gefechten zu werden drohen.

De Maizières Aussage verschleiert die systematischen Verbrechen gegenüber der Zivilbevölkerung, die von den Taliban, die immer mehr Gebiete kontrollieren, begangen werden. So finden immer wieder Angriffe auf Schulen statt, in denen Mädchen unterrichtet werden. Erst Ende vorigen Jahres wurde eine Frau in Nordafghanistan von den Taliban geköpft. Die Zahl derartiger Morde wächst.

Die Behauptung der Bundesregierung, zumindest afghanische Städte seien »sicher«, ist von der UN-Mission in Kabul schon längst widerlegt. Diese berichtet vielmehr davon, dass die Taliban ihren Druck auf mehrere Provinzhauptstädte erhöhen und auch die Landstraßen und Versorgungswege abzuschneiden versuchen.

Der Bundes­innenminister spielt all das herunter, um die Abschiebeagenda durchzusetzen. Dabei wird die humanitäre Lage am Hindukusch immer fragiler, nicht zuletzt weil voriges Jahr mindestens 600.000 Flüchtlinge aus Pakistan zurückgetrieben worden sind. Viele dieser Rückkehrer seien in prekären Lebensumständen und zögen mittellos durchs Land, heißt es im UN-Bericht.

Ganz entgegen den Forderungen de Maizières verzichten allerdings immer mehr Bundesländer auf Abschiebungen nach Afghanistan, darunter alle mit Regierungsbeteiligung der Linkspartei. Deswegen fordert de Maizière mittlerweile, diesen Ländern die Kompetenzen bezüglich Abschiebungen zu entziehen und die Bundespolizei damit zu beauftragen.

Wo die Grünen mit SPD oder Union koalieren, läuft derweil alles nach Plan. Die Grünen-Vorsitzende von Baden-Württemberg, Sandra Detzer, sagte gestern gegenüber Spiegel online, man müsse sich »im gültigen Rechtsrahmen bewegen. Der Rechtsrahmen ist: Wenn die Bundesregierung zu der Einschätzung kommt, dass die Lage in Afghanistan es zulässt, dann ist abzuschieben.« Flüchtlingsorganisationen gehen davon aus, dass am heutigen Mittwoch die dritte vom Bund geleitete Sammelabschiebung an den Hindukusch ansteht.