Kommunalbehörden verhindern Auftritte türkischer Minister in Deutschland, Bundesregierung drückt sich um Verantwortung
Glaubt man der türkischen Regierung, dann ist in Deutschland der Faschismus ausgebrochen. Regierungsnahe Zeitungen präsentieren Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Hakenkreuzbinde, und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan beklagt »Nazipraktiken«. Hintergrund sind Raumkündigungen für Auftritte türkischer Minister, die im Vorfeld des Referendums über die Einführung einer Präsidialdiktatur um die Stimmen von rund 1,4 Millionen wahlberechtigten Deutschtürken werben wollen.Zuletzt traf es Außenminister Mevlüt Cavusoglu in Hamburg. Das Bezirksamt Mitte der Hansestadt untersagte den für Mittwoch geplanten Auftritt des Ministers in einem schäbigen Hochzeitssalon wegen Mängeln beim Brandschutz. Nachdem auch der Ersatzauftritt in einem Tanzsaal im 20 Kilometer entfernten Norderstedt platzte, soll die Veranstaltung nach Informationen der Hamburger Morgenpost nun in der Residenz des türkischen Generalkonsulats stattfinden. Zuvor hatte bereits das Bezirksamt Köln-Porz eine fälschlich als »Theaterstück« deklarierte Veranstaltung mit Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci in einer städtischen Halle gekündigt, die von einer Lobbyorganisation der türkischen Regierung namens UETD angemeldet worden war. Und der parteilose Bürgermeister der baden-württembergischen Gemeinde Gaggenau hatte eine Veranstaltung mit Justizminister Bekir Bozdag aufgrund fehlender Parkplätze und der Gefahr zugestellter Rettungswege abgesagt.
Auch wenn die türkische Regierung es anders darstellt: Ein Auftrittsverbot gegen türkische Regierungspolitiker wird zwar von einigen Politikern – von Linken bis CDU – eingefordert, doch bislang erfolgten lediglich Raumkündigungen durch Kommunalbehörden oder Hallenbetreiber. Dass diese in Deutschland über soviel Entscheidungsbefugnis verfügen, ist für türkische Politiker ungewohnt. Denn in der Türkei haben die von Ankara eingesetzten Gouverneure grundsätzlich das letzte Wort gegenüber den gewählten Bürgermeistern. Bozdag ist sich von daher sicher, dass die Weisung zur Raumkündigung in Gaggenau von der Bundesregierung oder dem Geheimdienst gekommen war. Doch auch der im Berliner Exil lebende Exchefredakteur der Tageszeitung Cumhuriyet, Can Dündar, ein scharfer Erdogan-Kritiker, sieht im Vorgehen deutscher Kommunalbehörden »billige Ausreden«. »Nicht die Verantwortung auf Stadt und Länder schieben«, twitterte Dündar am Montag. »Wenn Reden nicht erwünscht sind, muss es offen gesagt werden.«
Rechtliche Möglichkeiten zum Verbot von Veranstaltungen ausländischer Politiker gäbe es. Die Versammlungsfreiheit nach Artikel acht des Grundgesetzes für Zusammenkünfte unter freiem Himmel ist ausdrücklich als ein Grundrecht nur für »Deutsche« festgeschrieben. So untersagte das Oberverwaltungsgericht Münster im vergangenen Sommer die Livezuschaltung Erdogans per Videoleinwand während einer Großkundgebung in Köln. Die Versammlungsfreiheit sei kein Instrument, um ausländischen Staatschefs ein Forum zu eröffnen, begründete das Gericht seine Entscheidung.
Nach Paragraph 47 des Aufenthaltsgesetzes kann die politische Betätigung von Ausländern beschränkt oder verboten werden, wenn sie »das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern oder von verschiedenen Ausländergruppen im Bundesgebiet (…) beeinträchtigt oder gefährdet.« Zuständig wären die Ausländerbehörden und damit letztlich die Landesinnenminister. Doch die wollen den Schwarzen Peter lieber weiterschieben. Der Bund müsse dafür sorgen, dass Auftritte von AKP-Regierungsmitgliedern weder in NRW noch anderswo in Deutschland stattfinden, meint NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD). So könne die Bundesregierung den AKP-Politikern das Visum versagen. Doch vor einer solchen Eskalation schreckt die Bundesregierung derzeit noch zurück.
Tatsächlich muss gefragt werden, welches Risiko von Veranstaltungen mit türkischen Ministern vor wenigen hundert bereits auf Erdogan eingeschworenen Besuchern ausgeht. Statt Räume wegen fehlender Parkplätze zu kündigen, wäre es ein deutlicheres Signal in Richtung Türkei, wenn unverbesserliche Erdogan-Fans jedesmal mit lautstarkem Protest demokratischer Kräfte vor den Hallen konfrontiert würden.
Anders verhält es sich freilich, wenn Erdogan auf einer Großveranstaltung vor Zehntausenden Deutschtürken für die Zustimmung zu Diktatur und Einführung der Todesstrafe wirbt. Von solchen Kundgebungen, auf denen deutlich gegen die als »Vaterlandsverräter« und »Terroristen« diffamierten Gegner der AKP gehetzt wird, geht eine reelle Gefahr für das friedliche Zusammenleben auch in Deutschland aus. Mit dem Satz »Und wenn ihr mich nicht durch die Tür lasst oder mich nicht reden lasst, dann werde ich die Welt aufstehen lassen« drohte Erdogan am Wochenende bereits sein Kommen an. Dazu ist nun tatsächlich der Bund gefordert.