Von Ulla Jelpke (erschienen in Junge Welt vom 8.3.17)
Die Verhinderung der Auftritte türkischer Minister in Deutschland und die Diskussion über ein mögliches Redeverbot für Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan stoßen nicht nur bei der religiös-nationalistischen Regierungspartei AKP, sondern auch bei den Oppositionsfraktionen auf Kritik. Rückendeckung bekommt die AKP-Regierung insbesondere durch die faschistische Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP). Sollte Erdogan beschließen, nach Europa zu gehen, um dort aufzutreten, werde er ihn begleiten, kündigte der MHP-Führer Devlet Bahceli am Montag gegenüber dem Fernsehsender Haberturk an. Dies sollte nicht erstaunen. Denn die nur formal der Opposition angehörende MHP befindet sich in einer faktischen antikurdischen Kriegskoalition mit der AKP und wirbt ebenfalls für ein »Ja« zur Einführung des Präsidialsystems.
Auch strikte Gegner des Verfassungsreferendums kritisieren die Entscheidungen deutscher Kommunalbehörden. »Ihr spielt euch gegenüber der ganzen Welt als Lehrer in Sachen Demokratie auf, aber ihr verbietet Ansprachen von zwei Ministern mit dieser oder jenen Ausrede«, erklärte der Vorsitzende der kemalistisch-sozialdemokratischen Republikanischen Volkspartei (CHP), Kemal Kilicdaroglu, an Deutschland gewandt. Gleichzeitig mit dem abgesagten Auftritt des Justizministers in Gaggenau wollte der frühere CHP-Vorsitzende Deniz Baykal am Sonntag auf einer Parteiveranstaltung in Filderstadt bei Stuttgart für ein Nein beim Verfassungsreferendum werben. Gegen diese Veranstaltung lagen keinerlei Beschwerden vor. Doch Baykal, der dem rechtsnationalistischen Flügel seiner Partei angehört, sagte seinen Deutschland-Besuch ab. Es bestehe die Gefahr, dass der Auftritt sonst als »Instrument der Innenpolitik« in der Türkei missbraucht werden könne, erklärte der CHP-Deutschland-Vertreter Hayri Cicekdagi am Wochenende.
Als »völlig falsch« bezeichnete Mithat Sancar, Abgeordneter der links-kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP), im Interview mit Spiegel online Auftrittsverbote für türkische Minister in Deutschland. Mit diesen Methoden spiele man nur Erdogan in die Hände und könne ihm keine Zugeständnisse abringen. 13 Abgeordnete der HDP, darunter ihre beiden Vorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksedag, befinden sich seit bis zu vier Monaten in Untersuchungshaft, ebenso wie fast 80 ihrer Bürgermeister und Tausende ihrer Mitglieder und Aktivisten. »Der Justizminister, der Ministerpräsident, der Präsident, Demirtas, Kilicdaroglu und auch Bahceli sollten die Möglichkeit haben, sich mit ihrer Basis zu treffen, überall auf der Welt und an jedem Punkt dieses Landes«, erklärte der ebenfalls für die HDP im Parlament sitzende frühere Oberbürgermeister von Diyarbakir, Osman Baydemir. Solange die türkische Regierung die Meinungsfreiheit im eigenen Land unterdrücke, sei deren Kritik an Deutschland aber fruchtlos und werde nicht ernstgenommen, fügte Baydemir laut der Zeitung Hürriyet Daily News hinzu.
Für das Rederecht Erdogans spricht sich schließlich auch der frühere Chefredakteur der oppositionellen Tageszeitung Cumhuriyet, Can Dündar, aus. »Ich bin ein entschiedener Gegner Erdogans, aber ich bin auch ein überzeugter Demokrat und kämpfe für das Recht auf freie Meinungsäußerung«, erklärte der vor einer drohenden Haftstrafe in der Türkei ins Exil nach Deutschland gegangene Journalist gegenüber der Passauer Neuen Presse. Ein Verbot würde »die Spannungen unter den Türken in Deutschland anheizen«, so Dündar. Die Behörden sollten lieber enge Grenzen für Erdogans Rede setzen, »damit er nicht wie sonst Hass predigt«.