»R2G« gegen AfD?

Erschien in Antifaschismus, Beilage der jungen Welt vom 08.05.2017

Warum das Bewahren eines sozialistischen Profils für die Partei Die Linke eine antifaschistische Aufgabe ist

Von Ulla Jelpke

Aller Voraussicht nach wird mit der »Alternative für Deutschland« (AfD) bei den Bundestagswahlen im Herbst erstmals eine rechts von der Union stehende, offen völkisch-nationalistisch auftretende Kraft ins Parlament einziehen. Für Die Linke als Partei mit explizit antifaschistischem Selbstverständnis ergibt sich daraus sowohl im Wahlkampf als auch bezüglich ihrer Rolle im nächsten Bundestag eine besondere Aufgabenstellung.Aufgrund deutlich gestiegener Umfragewerte der SPD nach der Kür ihres Kanzlerkandidaten Martin Schulz schien im Februar eine Mehrheit links von der Union – und der FDP – bei der Bundestagswahl erstmals rechnerisch möglich. Auch wenn der Höhenflug der SPD im April vorbei war – womöglich auch nur vorübergehend –, hat dies innerhalb der Linkspartei, aber auch am linken Rand von SPD und Grünen die Debatte über eine »rot-rot-grüne« Koalition (»R2G«) im Bund befeuert.

Glaubwürdigkeitsfrage

Einer Reihe von Genossinnen und Genossen erscheint diese Option vor allem als Sperriegel gegen einen mit dem Einzug der AfD in den Bundestag drohenden weiteren Rechtsruck der Bundespolitik, während die Unionsparteien schon jetzt in der Flüchtlingspolitik nach der Pfeife der Petry-Höcke-Gauland-Storch-Krawalltruppe tanzen.

Doch bei allen »R2G«-Hoffnungen wäre es verhängnisvoll, wenn Die Linke sich von Schulz den Weg diktieren ließe, anstatt eigene radikale Positionen zu vertreten – und wenn sie im vorauseilenden Gehorsam Kompromisse etwa in Sachen NATO-Akzeptanz und EU-Schönrederei macht, statt klare rote Haltelinien für eine Regierungsbeteiligung zu formulieren.

Als kleiner Partner innerhalb einer »rot-rot-grünen« Koalition müsste Die Linke den Kopf für alle unpopulären Entscheidungen hinhalten. Sie könnte – außer bei einigen eher randständigen Themen – kaum eigene Initiativen durchsetzen. Die Folge wäre, dass sich die Partei in den Augen vieler bisheriger Wähler abnutzt und unglaubwürdig macht. Schon die Beteiligung der Linken an Landesregierungen hat gezeigt, dass die Partei mit zum Teil deutlichen Stimmverlusten für ihre in der Regierungsposition unter dem Druck der Märkte und ohne unterstützende außerparlamentarische Mobilisierung fast unvermeidliche Rolle als Sachwalterin von Kapitalinteressen abgestraft wird.

Entsprechende Erfahrungen gibt es zudem vielfach im Ausland. Von der Selbstdemontage der linken Parteien in der Regierungsverantwortung – die eben nicht mit tatsächlicher Entscheidungsgewalt verwechselt werden darf – profitierten dort zunehmend rechte und extrem rechte Kräfte. Hier lohnt insbesondere der Blick ins Nachbarland Frankreich.

Der dortige Aufstieg des extrem rechten Front National (FN) ist nicht erklärbar ohne den Niedergang der einstmals mächtigen Kommunistischen Partei und den Wandel der Sozialisten von einer Arbeiterpartei zu einer der bürgerlichen Technokraten, die jeden Bezug zur lohnabhängigen Klasse aufgegeben haben. Der französische Autor Didier Eribon hat dies in seiner 2016 auf deutsch erschienenen Autobiographie »Rückkehr nach Reims« plastisch anhand seiner eigenen Familie beschrieben, die früher ins kommunistische Milieu eingebunden war und sich dann dem FN zugewandt hatte.

Gefährliche Entfremdung

Nach dem Wahlsieg von François Mitterand im Jahr 1981 und der Bildung einer sozialistisch-kommunistischen Koalitionsregierung habe bei den Sozialisten eine konservative Wende eingesetzt, so Eribon. Die Rede sei »nicht mehr von Klassenverhältnissen oder sozialem Schicksal, sondern von ›Zusammenleben‹ und ›Eigenverantwortung‹. Die Idee der Unterdrückung, einer strukturierenden Polarität zwischen Herrschenden und Beherrschten, verschwand aus dem Diskurs der offiziellen Linken und wurde durch die neutralisierende Vorstellung des ›Gesellschaftsvertrags‹ ersetzt, in dessen Rahmen ›gleichberechtigte‹ Individuen (gleich? Was für ein obszöner Witz) auf die Artikulation von Partikularinteressen zu verzichten« hätten. Die Folge sei, so Eribon, eine Entfremdung zwischen der trotz ihres von Intellektuellen verkündeten Endes real weiterbestehenden Arbeiterklasse und den Linken, die »mit ihren Partei- und Staatsintellektuellen« fortan nicht mehr die Sprache der Regierten, sondern jene der Regierenden dachten und sprachen. Deswegen wandten sich weite Teile der so im Stich gelassenen »Unterprivilegierten« dem FN zu, der ihnen »zumindest einen Diskurs anbot« und »versuchte, ihrer Lebensrealität wieder einen Sinn zu verleihen«, sie nur freilich nicht als Arbeiter ansprach, sondern als Franzosen, die nicht mehr gegen die Bourgeoisie, sondern gegen Migranten in Stellung gebracht wurden.

Die Kommunistische Partei Frankreichs wiederum, die letztmalig von 1997 bis 2002 einer Koalitionsregierung angehörte, wurde seit 1984 fast durchweg von den Wählern dafür abgestraft, dass sie sich ins Schlepptau der sich zunehmend neoliberal gewandelten Sozialisten begeben hatte. Heute ist die Partei nahezu in der Bedeutungslosigkeit versunken.

»Die gewichtigste Folge des Verschwindens der Arbeiterklasse und der Arbeiter, ja des Klassenbegriffs überhaupt aus dem politischen Diskurs war die Aufkündigung der alten Allianz zwischen Arbeitern und anderen gesellschaftlichen Gruppen (Beamte, Angehörige des öffentlichen Dienstes, Lehrer  …) innerhalb des linken Lagers, die den Weg freimachte zu einem neuen, größtenteils rechts verankerten oder sogar rechtsextremen ›historischen Block‹ (Gramsci), der heute große Teile der prekarisierten und verwundbaren Unterschicht mit Leuten aus Handelsberufen, mit wohlhabenden, in Südfrankreich lebenden Rentnern, ja sogar mit faschistischen Exmilitärs und traditionalistischen Katholiken verbindet.« Hier beschreibt Eribon ziemlich genau das Milieu, in dem in Deutschland ein noch am Anfang stehender, aber vergleichbarer Formierungsprozess eines rechten Blocks aus AfD, Pegida und ähnlichen Gruppierungen erfolgt.

Strenge Tolerierung

Aus der französischen Erfahrung gilt es zu lernen. Denn eine Linke, die sich zum bloßen Anhängsel einer von neoliberalen Technokraten beherrschten SPD macht, überlässt das Feld den extrem Rechten. Die Parteiströmung Antikapitalistische Linke (AKL) hat auf ihrer Bundesmitgliederversammlung im März eine Resolution erarbeitet, die gute Vorschläge für eine Positionierung im Bundeswahljahr enthält. So sollte die Partei Die Linke mit eigenen Inhalten und zugespitzten sozialen Forderungen im Wahlkampf punkten und offensiv die Rücknahme der »Agenda 2010« und der Hartz-IV-Gesetze, einen Mindestlohn von zwölf Euro, auskömmliche Renten, das Verbot von Leiharbeit und eine drastische Besteuerung von Banken, Konzernen und Vermögen bei gleichzeitiger Entlastung der Niedrig- und Normalverdiener fordern. Die Linke sollte als einzige Friedenspartei gegen alle Auslandseinsätze der Bundeswehr und gegen Rüstungsexporte in den Wahlkampf ziehen und für einen Bruch mit der neoliberalen, undemokratischen und militaristischen EU eintreten – auch um so den nationalistischen EU-Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Aus der Erkenntnis heraus, dass mit SPD und Grünen keine grundsätzlich andere Politik umsetzbar ist, schlägt die AKL vor, dass Die Linke anstelle einer Koalitionsaussage anbieten sollte, eine SPD-Grünen-Minderheitsregierung mittels Tolerierung ins Amt zu bringen – und bei allen tatsächlichen Verbesserungen der sozialen Lage der Lohnabhängigen, Erwerbslosen, Jugendlichen und Rentner zuzustimmen, alle Verschlechterungen aber abzulehnen. »Klassenkampf statt Spaltung« – das muss die antifaschistische Antwort der Linken auf den Aufstieg der AfD sein.