BRD-Kritik an der Türkei
Gastkommentar von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 22.07.2017)
Solange der türkische Präsident sich darauf beschränkte, Gegner seiner Diktatur im Inneren zu bekämpfen, hat das die Bundesregierung nicht gejuckt. Die Bombardierung kurdischer Städte, die Festnahme kritischer Parlamentarier und Journalisten – all das entlockte Berlin nichts weiter als mahnende Worte, denen keinerlei Taten folgten. Die vielbeschworenen »europäischen Werte« galten angesichts der strategischen Interessen, die Deutschland und die EU in der Türkei haben, nichts.Die willkürlichen Verhaftungen deutscher Staatsbürger und die absurden Terrorvorwürfe gegen deutsche Firmen kann die Bundesregierung aber nicht mehr einfach ignorieren. Zu Berichten, nach denen Erdogan angeboten habe, die deutschen Gefangenen in der Türkei gegen angeblich am Putschversuch beteiligte Generäle auszutauschen, die in Deutschland Asyl erhielten, äußerte Außenminister Sigmar Gabriel zwar, er kenne kein »offizielles Tauschangebot«. Es mag ja sein, dass der Stempel des türkischen Despoten fehlt. Aber es bleibt offenkundig, dass die deutschen Journalisten und Menschenrechtler, die in der Türkei im Knast sitzen, von Erdogan als Geiseln benutzt werden.
In Reaktion hierauf wird jetzt auf rhetorischer und symbolischer Ebene eskaliert, etwa in den kaum verklausulierten »Hinweisen« des Außenministeriums für Reisende. Die Rede ist außerdem von der »Prüfung« weiterer Hermes-Bürgschaften für deutsche Investitionen in der Türkei. Allerdings folgt die Politik hier dem Kapital: Das entsprechende Geschäftsvolumen für solche Projekte ist von 2,1 Milliarden im Jahr 2015 auf nunmehr 680 Millionen in der ersten Hälfte dieses Jahres ohnehin schon eingebrochen. »Auf dem Prüfstand« seien jetzt auch Rüstungsgeschäfte, hieß es am Freitag – auch das ist erst einmal nichts weiter als eine Floskel, denn Einzelprüfungen gibt es schon seit einem Jahr. Die zuständigen Politiker von Union und SPD geizen nicht mit harten Vorwürfen an Erdogan, wohl aber damit, Fakten zu schaffen, die ihm wirklich weh tun könnten. Das wären zum Beispiel der definitive Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen (die mit dem Verlust von 680 Millionen Euro jährlicher Vor-Beitrittshilfen einhergehen würden), oder ein endgültiges Aus der Militärkooperation. Aber davon ist keine Rede. Bei der Flüchtlingsbekämpfung in der Ägäis funktioniere weiterhin alles ganz reibungslos, versicherte Kriegsministerin von der Leyen gestern.
Das entlarvt die scheinbar harten Äußerungen des Außenministers als wohlfeiles Wahlkampfgetöse. Der Flüchtlingsdeal mit der Türkei zeigt ohnehin, dass die Bundesregierung im Glashaus sitzt, wenn sie Erdogan der Verletzung menschenrechtlicher Standards beschuldigt. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Leidtragende bleiben die demokratischen Kräfte in der Türkei und all jene, die sich noch trauen, diese vor Ort aktiv zu unterstützen.