Erdogan macht Kasse

EU-Kommission zieht positive Bilanz ihrer Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge. Türkei erhält weitere drei Milliarden Euro

Artikel von Ulla Jelpke erschien in junge Welt vom 15. März 2018
 

Da das vor zwei Jahren von der Europäischen Union (EU) mit Ankara geschlossene Flüchtlingsabkommen »weiter Ergebnisse liefert«, soll die Türkei erneut drei Milliarden Euro Finanzhilfen erhalten, kündigte die EU-Kommission am Mittwoch im Rahmen einer Bilanz ihrer Flüchtlingspolitik an. Mit dem Flüchtlingsdeal im März 2016 war vereinbart worden, dass die Türkei die Grenzen nach Europa für Schutzsuchende dichtmacht und illegal auf die griechischen Inseln gelangte Flüchtlinge zurücknimmt. Im Gegenzug hatte Ankara nach Abschluss des Deals bereits eine erste Tranche von drei Milliarden Euro zur Versorgung von syrischen Flüchtlingen im eigenen Land in der Tasche.

In der Türkei, die mit der Unterstützung dschihadistischer Kampfgruppen eine erhebliche Mitverantwortung für den Krieg in Syrien trägt, haben seit 2011 rund 3,5 Millionen syrische Flüchtlinge Zuflucht gesucht. Allerdings erhält, wie die Bundesregierung kürzlich auf eine Anfrage der Linksfraktion bestätigte, nur ein Bruchteil dieser Schutzsuchenden staatliche Versorgung. Die Mehrheit kommt bei Stadtverwaltungen und Familien unter oder lebt in Slums. Als Billiglohnarbeiter bedienen sie den informellen Arbeitsmarkt, von dem europäische und US-amerikanische Textilhersteller stark profitieren. Auch rund 400.000 geflüchtete Kinder im schulpflichtigen Alter werden zur Arbeit gezwungen. Viele Türken stehen den Flüchtlingen mittlerweile ablehnend gegenüber. Bei Übergriffen und gewaltsamen Zusammenstößen kamen im vergangenen Jahr laut einem Bericht der »International Crisis Group« 35 Menschen, darunter 24 Syrer, ums Leben.

Die AKP-Regierung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nutzt die von der EU mitfinanzierte Ansiedlung der sunnitisch-arabischen Kriegsflüchtlinge in Regionen mit kurdischer oder alevitischer Bevölkerung zur gezielten Veränderung der demographischen Strukturen. In den letzten Tagen wurden laut einem Bericht der kurdischen Nachrichtenagentur Firat zudem Hunderte turkstämmige Flüchtlinge von der ostanatolischen Stadt Van aus in Bussen in den von der türkischen Armee angegriffenen nordsyrischen Kanton Afrin gebracht, um dort in Dörfern vertriebener Kurden angesiedelt zu werden.

EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos zog am Mittwoch eine positive Bilanz der EU-Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge. So liegt die Zahl der Menschen, die über die östliche Mittelmeerroute illegal nach Europa gelangten, heute um 97 Prozent unter der aus der Zeit vor dem EU-Türkei-Abkommen. Die Zahl der illegalen Grenzübertritte in die EU lag 2017 mit 205.000 ein Drittel unter dem Stand von 2014. Asyl-Erstanträge in der EU haben sich 2017 im Vergleich zum Vorjahr mit 649.855 halbiert. Neben dem EU-Türkei-Deal hat daran auch die von der EU unterstützte sogenannte libysche Küstenwache ihren Anteil. Von dieser Bürgerkriegsmiliz abgefangene Flüchtlinge werden in dem nordafrikanischen Land in Lagern interniert, in denen es regelmäßig zu Vergewaltigungen, Misshandlungen und Sklavenhandel kommt. 15.000 Migranten seien inzwischen mit Hilfe eines EU-Programms aus diesen Lagern in ihre Heimatländer zurückgekehrt, freute sich EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini am Mittwoch. Insgesamt sitzen in Libyen bis zu einer Million Flüchtlinge und Migranten fest.