Behörden bemühen sich zwar um Entwaffnung von sogenannten Reichsbürgern. Doch Hunderte Neonazis dürfen Pistolen und Gewehre behalten
Erschien in junge Welt vom 23.Mai 2018
Hunderte Neonazis und sogenannte Reichsbürger besitzen ganz legal scharfe Schusswaffen. Das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen zum Thema »Gefahren durch rechtsterroristische Strukturen und rechte Militanz in Deutschland«. Die Bundesregierung warnt darin vor extrem rechten Terrorzellen, die sich »insbesondere außerhalb der gefestigten Strukturen der rechtsextremistischen beziehungsweise neonazistischen Szene« durch »Selbstradikalisierung im Internet und die dort vorhandenen Kommunikationsmöglichkeiten« bilden. Derzeit führt die Generalbundesanwaltschaft zwar 14 Ermittlungs- oder Strafverfahren gegen fünf verschiedene mutmaßlich rechtsterroristische Vereinigungen. Doch gerade einmal 26 Neonazis werden bundesweit als sogenannte »Gefährder« im Bereich »Politisch motivierte Kriminalität rechts« eingestuft.
Diese im Vergleich zu mehr als 700 islamistischen »Gefährdern« niedrige Zahl sagt weniger über die tatsächliche Gefährlichkeit von Neonazis als über die Vernachlässigung der rechten Gefahr von Seiten der Polizeibehörden aus. Denn allein auf deren subjektivem Empfinden beruht eine Gefährdereinstufung. »Der Rechtsextremismus agiert auch über sechs Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU weitgehend unterhalb des Radars der Sicherheitsbehörden«, beklagte daher die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Irene Mihalic, gegenüber Zeit online am Dienstag die mangelhafte Analysefähigkeit der Behörden.
Rund 1.200 vielfach dem extrem rechten Milieu zuzurechnende Reichsbürger und sogenannte Selbstverwalter, die die Existenz der Bundesrepublik nicht anerkennen, verfügen laut Bundesregierung über eine waffenrechtliche Erlaubnis. Nach den tödlichen Schüssen eines Reichsbürgers auf einen Polizisten im bayerischen Georgensgmünd im Oktober 2016 und Übergriffen auf Gerichtsvollzieher bemühen sich die Behörden, die Reichsbürger zu entwaffnen. In mindestens 450 Fällen wurde ihnen die Waffenerlaubnis wieder entzogen. Einen vergleichbaren Eifer legen die Behörden bei rund 750 legal über scharfe Pistolen oder Gewehre verfügende Neonazis nicht an den Tag, nur 59 von ihnen mussten ihre Waffen abgeben. Die Bedrohung von Behördenmitarbeitern durch Reichsbürger, die auf Grundlage ihres imaginierten Widerstandsrechts um sich schießen, müsse ernst genommen werden, erklärte die Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion, Martina Renner, gegenüber junge Welt. »Aber angesichts der Gewalttaten von Neonazis gegen ihre politischen Widersacher und Geflüchtete muss auch für deren Entwaffnung gesorgt werden«, so Renner weiter. Dafür brauche es keine Gesetzesverschärfung oder Zuständigkeit der Geheimdienste, sondern eine konsequente Rechtsanwendung von Zuverlässigkeitsprüfungen im Waffenrecht.
Ein entsprechendes Grundsatzurteil fällte das sächsische Oberverwaltungsgericht in Bautzen Ende April in zweiter Instanz bei der Abweisung einer Klage eines NPD-Kommunalpolitikers gegen den Widerruf seiner Waffenbesitzkarte. Die Unzuverlässigkeit für den Waffenbesitz sei auch dann anzunehmen, »wenn der Kläger Mandatsträger einer verfassungsfeindlichen Partei ist und verfassungsfeindliche Bestrebungen dieser Partei aktiv unterstützt, selbst wenn diese Partei vom Bundesverfassungsgericht nicht verboten ist«, urteilte das Gericht.