Rede: Solidarität statt Grenzen!

Rede zur aktuellen Stunde der 40. Sitzung des Deutschen Bundestages am Freitag, dem 15. Juni 2018

Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP – Haltung der Bundesregierung zum sog. Masterplan: Wie geht es weiter mit der Flüchtlings- und Integrationspolitik in Deutschland?

 

 

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion um den sogenannten Masterplan des Bundesinnenministers ist in der Tat gespenstisch, weil dieser Plan weder öffentlich bekannt ist, noch, glaube ich, sind alle Fraktionen über diesen Plan informiert worden. Wir erleben eine aufgeheizte Debatte ohne richtige Grundlage, und ich bin davon überzeugt, dass genau das geplant war: Der Innenminister will ein aufgeheiztes Klima schaffen, um sich im bayerischen Wahlkampf als Scharfmacher in Sachen Flüchtlingspolitik in Szene zu setzen. Und das auf Kosten der Schutzberechtigten. Das ist wirklich unerträglich, Herr Minister.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Braun (AfD): Wer ist denn schutzberechtigt? Ihre terroristischen Freunde, oder wer?)

Dass er für diese verantwortungslose Politik Unterstützung von der AfD und FDP erhält, ist wirklich für die ganze rechte Seite hier im Haus bezeichnend.

(Jürgen Braun (AfD): Sie haben doch immer wieder Berührungspunkte zum Terrorismus, Frau Jelpke, in Ihrem Leben!)

Sie sind sich in Wahrheit in der Sache völlig einig.

(Tino Chrupalla (AfD): Der Kuchen wird immer größer!)

Sie wollen eine weitere massive Aushöhlung des Flüchtlingsrechts.

(Dr. Alexander Gauland (AfD): Unglaublich!)

Sie wollen Zurückweisungen an den Grenzen und die kasernierte Unterbringungen von Flüchtlingen in inhumanen Lagern.

(Jürgen Braun (AfD): Sie wollen alle Gewalttäter hier in unserem Land haben! Sie lieben die Gewalttäter und nicht die Opfer! Das ist Ihre Haltung, Frau Jelpke!)

Sie streiten hier doch nur noch darüber, ob dies gesamteuropäisch umgesetzt wird oder ob ein nationaler Alleingang unternommen wird.

Meine Damen und Herren, es ist völlig klar: Wer pauschale Zurückweisungen fordert, tritt nicht nur die Menschenwürde der Schutzsuchenden mit Füßen, sondern auch das deutsche und das internationale Recht.

(Alexander Dobrindt (CDU/CSU): Sprechen Sie eigentlich auch für Frau Wagenknecht?)

Nehmen Sie doch mal zur Kenntnis, was das geltende Europarecht dazu sagt. Die sogenannten Dublin-Regeln schreiben eindeutig vor: Wenn jemand Asyl beantragt, muss es ein ordentliches Verfahren geben,

(Alexander Dobrindt (CDU/CSU): Wo ist eigentlich Frau Wagenknecht?)

inklusive der Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen,

(Jürgen Braun (AfD): Mit Recht hatten Sie doch noch nie was am Hut!)

um festzustellen, welcher EU-Staat für das Verfahren zuständig ist. Deswegen kann man die Betreffenden logischerweise nicht einfach an der Grenze abweisen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander Gauland (AfD): Doch!)

Das sagt im Übrigen auch der Leiter des UN-Flüchtlingswerks UNHCR heute in der „Welt“ – ich zitiere – :

Jedenfalls für die Dauer dieser Prüfung muss die betreffende Person auch bleiben dürfen.

Im ersten Quartal dieses Jahres sind 3 900 Personen an der Grenze zurückgewiesen worden;

(Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Zu wenig!)

nach offiziellen Angaben waren das keine Asylsuchenden, eben weil das nicht zulässig wäre.

(Jürgen Braun (AfD): Selbstverständlich wäre es zulässig! Sie leben in Ihrer Märchenwelt, wo alle Täter nett sind! Alle Täter sind toll und müssen beschützt werden!)

Bevor der Wahlkampf in Bayern begann, hat auch Innenminister Seehofer im Innenausschuss und in den Medien im Oktober 2017 in einer Pressekonferenz ganz klar gesagt:

Die Zurückweisung an der Grenze ist eine hochkomplizierte Angelegenheit …, die eine Reform des Dublin-Verfahrens voraussetzen würde.

(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

Daran, Herr Seehofer, ändern auch irgendwelche bilateralen Abkommen mit Österreich nichts. Wenn Sie jetzt ernsthaft mit Zurückweisungen anfangen, schaffen Sie genau jene „Herrschaft des Unrechts“, die Sie vor geraumer Zeit noch Frau Merkel vorgeworfen haben.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander Gauland (AfD): Es ist ungeheuerlich)

Meine Damen und Herren, ich möchte noch einige Worte zu den sogenannten ANKeR-Zentren, die ja Teil des Masterplans sein sollen, sagen: Schon der Name ist reine Schönfärberei, weil es um inhumane Lageranstalten geht,

(Jürgen Braun (AfD): Das ist unglaublich!)

in denen Flüchtlinge wie Kriminelle untergebracht werden. Das ist menschenverachtend.

(Beifall bei der LINKEN – Tino Chrupalla (AfD): Das wissen Sie doch gar nicht!)

Ich kenne die Vorbilder dieser Lager, die sogenannten Transit-Zentren – schon das Wort ist schrecklich – in Manching und in Bamberg aus eigener Anschauung; ich war gerade erst dort. Dort werden bis zu 1 500 Flüchtlinge eingepfercht,

(Jürgen Braun (AfD): Das sind doch Legenden, die Sie hier verbreiten!)

zum Teil über zwei Jahre lang festgehalten – mit Residenzpflicht, Arbeitsverbot, unzureichender medizinischer Versorgung, ohne Perspektive. Die Menschen dort werden schlicht in die Verzweiflung getrieben. Wer das zur Regel für alle Flüchtlinge machen will, der hat nicht nur kein Herz, sondern macht sich mitschuldig an einer schamlosen Aushöhlung des Asylrechts und an einer massiven Vergiftung des inneren Klimas in unserer Gesellschaft.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Braun (AfD): Messermorde vergiften kein Klima, Messermorde sind in Ordnung, ja?)

Von dem Streit innerhalb des Unionslagers darf man sich nicht täuschen lassen. Inhaltlich haben wir eine erschreckende Koalition aus CDU, CSU, FDP und AfD, die gemeinsam das Asylrecht begraben wollen.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Und das – ich komme zu meinem letzten Satz – vor dem Hintergrund, dass im letzten Jahr nur 220 000 Menschen nach Deutschland kamen.

(Jürgen Braun (AfD): Schöne Grüße an die PKK, Frau Jelpke!)

Zum Schluss möchte ich sagen: Hören Sie auf – –

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Nein. Sie haben den letzten Satz hinter sich.

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Wir brauchen kein Europa der Grenzen,

(Das Mikrofon wird abgeschaltet)

sondern ein Europa der Solidarität.