Jetzt fordert auch das Oberverwaltungsgericht Münster die Rückholung von Sami A., dem angeblichen früheren Leibwächter von Osama bin Laden. Das Geheule bei Rechtspopulisten aller Couleur ist groß, von einer Niederlage des Staates ist die Rede, dessen Handlungsfähigkeit gegen Verbrecher nicht gewährleistet sei.
Eine Niederlage des Staates? Es war der Staat, in Gestalt der Bundespolizei, der das Recht gebeugt hat, als Sami A. trotz eines gerichtlichen Verbotes abgeschoben wurde. Angeblich kam die Gerichtsentscheidung zu spät. Nur: Zum einen hatten sämtliche Behörden, auch die des Landes Nordrhein-Westfalen und die Ausländerbehörde Bochum, das Gericht absichtlich in Unkenntnis darüber gelassen, dass die Abschiebung unmittelbar bevorstand. Zum anderen kam die Entscheidung des Gerichts bei den Behörden zwar erst an, als Sami A. schon in der Luft war, aber immerhin noch eine Stunde vor der Landung in Tunis. Es wäre also Zeit gewesen, den Charterflug wieder umkehren zu lassen.
Das ist der eigentliche Skandal: dass Bund, Land und Stadt an einem Strang gezogen haben, um sich über ein Gerichtsurteil hinwegzusetzen. Und zwar nicht aus Versehen, wie man das im Fall anderer zu Unrecht Abgeschobener vielleicht noch zugestehen könnte, sondern in voller Absicht, weil Sami A. als ausgesprochen unsympathischer Dschihadist gilt.
Einiges spricht dafür, dass er das tatsächlich ist. Aber sollte es im Rechtsstaat nicht so sein, dass das Recht für alle gilt, auch für jene, die – zu Recht oder zu Unrecht – nicht wohlgelitten sind? Denn wer sollte sonst entscheiden, für wen es gilt und für wen nicht? Man muss Sami A. beileibe nicht mögen, aber wer den Rechtsstaat will, muss Sami A. jene Rechte lassen, die unsere Verfassung nun einmal ungeachtet der Person zuspricht. Für alles andere gibt es nur ein Wort: staatliche Willkür.
Deswegen gilt, jedenfalls im vorliegenden Fall: Nicht Sami A. ist hier der Gefährder, sondern Bund, Land und Stadt Bochum erweisen sich als Gefahr für den Rechtsstaat.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) setzt noch einen drauf: Anstatt wenigstens die Entscheidung der zweiten Instanz zu akzeptieren, meint er, die Richter am Oberverwaltungsgericht belehren zu müssen, sie »sollten immer auch im Blick haben, dass ihre Entscheidungen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen«. Besser könnte es kein AfD-Politiker ausdrücken. Nicht Recht, sondern »Rechtsempfinden« soll gelten? Damit ließen sich, je nach Tageslaune und Region, auch Lynchmorde rechtfertigen. Es spricht leider einiges dafür, dass Teile der Bevölkerung, wenn sie nur genügend aufgehetzt werden, auch diese als rechtens »empfinden« würden.
Wenn schon diejenigen, die gemeinhin die bürgerliche Demokratie als Abschluss der Geschichte feiern, offen an deren Grundpfeilern zu sägen beginnen, wird es unheimlich.