Tausende Neonazis, AfD- und Pegida-Anhänger wollen am Sonnabend erneut in Chemnitz aufmarschieren
Artikel von Ulla Jelpke in junge Welt vom 1.9.2018Eine Woche nachdem der 35jährige Deutschkubaner Daniel H. am Rande eines Straßenfestes in Chemnitz erstochen wurde, mobilisieren AfD, Pegida und Neonazis für diesen Sonnabend zu neuen flüchtlingsfeindlichen Aufmärschen in die drittgrößte Stadt Sachsens. Als dringend Tatverdächtige wurden zwei Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien in Untersuchungshaft genommen. Nach Bekanntwerden des Mordes war es im Umfeld einer spontanen Demonstration der extrem rechten Fußballfantruppe »Kaotic Chemnitz« mit rund 1.000 Teilnehmern am vergangenen Sonntag zu regelrechten Treibjagden auf Migranten gekommen. Am Montag waren dann etwa 7.000 Neonazis, NPD-, AfD- und Pegida-Anhänger, »Reichsbürger« und Hooligans durch Chemnitz gezogen. Dabei gab es zahlreiche Übergriffe auf antifaschistische Gegendemonstranten, Journalisten und Migranten, aber auch Polizisten. Immer wieder zeigten Demonstranten offen den Hitlergruß. Der Verfassungsschutz hatte vor »überregionalen Anreisebewegungen« »rechtsextremer« und gewaltbereiter Gruppierungen gewarnt. Dennoch war die sächsische Polizei, die sonst bei kleineren antifaschistischen Kundgebungen schon mal Antiterroreinheiten mit Kriegswaffen aufmarschieren lässt, lediglich mit 600 Beamten vor Ort.
Zwar sprach der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) anschließend von einem »erfolgreichen« Polizeieinsatz, da es gelungen sei, den rechten Aufmarsch und antifaschistische Gegendemonstranten zu trennen. Doch viele Beobachter sind sich einig, dass die personell völlig unterbesetzte Polizei das staatliche Gewaltmonopol verloren hatte und die temporäre Bildung einer »national befreiten Zone« in der Innenstadt von Chemnitz zulassen musste. Die selbsternannte »Rechtsstaatspartei« AfD übte währenddessen den Schulterschluss mit der militanten Rechten. Ihre Anhänger und Mitglieder, darunter Abgeordnete und Kommunalvertreter, demonstrierten Seite an Seite mit den Neonazis der NPD und uniformierten Anhängern der Partei »Der III. Weg«. Letztere dient als Auffangbecken für verbotene Nazikameradschaften, auch verurteilte Rechtsterroristen bewegen sich in ihrem Umfeld.
»Wir wollen gemeinsam um Daniel H. und alle Toten der Zwangsmultikulturalisierung Deutschlands trauern – still, ernst und friedlich«, heißt es in dem von den thüringischen, brandenburgischen und sächsischen AfD-Landessprechern Björn Höcke, Andreas Kalbitz und Jörg Urban unterzeichneten Aufruf zu einem »Schweigemarsch« mit möglicherweise Tausenden Teilnehmern, der an diesem Sonnabend um 17 Uhr in der Chemnitzer Innenstadt beginnen soll. Plakate oder Parteipropaganda – auch von der AfD – sind unerwünscht, nur schwarz-rot-goldene Fahnen und weiße Rosen sollen gezeigt werden. Die Botschaft ist auch so klar. Demonstriert wird gegen »eine Politik, die geradezu fanatisch eine Migrationsagenda gegen das geltende Recht und die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung verfolgt«, heißt es in dem Aufruf unter wahnhafter Verkennung einer Regierungspolitik, die unter Missachtung internationaler rechtlicher Verpflichtungen zum Flüchtlingsschutz auf Ausgrenzung, Abschottung und Abschreckung setzt. Von »Extremisten und Gewalttätern« distanzieren sich die AfD-Landessprecher zwar. Doch dürfte es sich hier um Lippenbekenntnisse handeln, ist doch die Pegida-Bewegung mit ihrem gewalttätigen Hooligananhang offizieller Mitveranstalter des Aufmarschs. Zudem hat der AfD-Bundesvorsitzende Alexander Gauland die rassistischen Treibjagden von Chemnitz legitimiert. »Wenn eine solche Tötungstat passiert, ist es normal, dass Menschen ausrasten«, so Gauland gegenüber der Tageszeitung Die Welt. Gauland sah auch keinen Grund, sich vom AfD-Bundestagsabgeordneten Markus Frohnmaier zu distanzieren. Dieser hatte über den Kurznachrichtendienst Twitter die Rechten aufgestachelt. Es handele sich um einen Aufruf zur »Selbstverteidigung«, kam Gauland dem Abgeordneten zur Hilfe.
Für 16 Uhr, eine Stunde vor dem gemeinsamen Aufmarsch von AfD und Pegida, die zudem noch separate Kundgebungen veranstalten wollen, ruft die rechte Organisation »Pro Chemnitz« zu einer Kundgebung vor dem Karl-Marx-Monument auf. Diese im Stadtrat vertretene Gruppierung war bereits Veranstalter des Großaufmarschs vom Montag. Hinter »Pro Chemnitz« steht der 41jährige Rechtsanwalt Martin Kohlmann, ein langjähriger rechter Aktivist und Szeneanwalt, der unter anderem als Verteidiger von mutmaßlichen Mitgliedern der rechtsterroristischen »Gruppe Freital« und des »Reichsbürgers« Adrian Ursache auftritt. Offenbar verfügt die Vereinigung über gute Kontakte in den Staatsapparat. So veröffentlichte »Pro Chemnitz« den Haftbefehl für den irakischen Mordverdächtigen auf ihrer Facebook-Seite. Am Donnerstag abend meldete das sächsische Justizministerium einen Erfolg bei der Suche nach der undichten Stelle bei den Behörden. Das interne Papier hatte demnach ein Dresdner Justizvollzugsbediensteter weitergegeben. Der Mann wurde vom Dienst suspendiert.