Rede von Ulla Jelpke zum 75. Todestag von Ernst Thälmann auf der gemeinsamen Gedenkfeier der Thüringer Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN-BdA und der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora am 18. August vor dem Krematorium der KZ-Gedenkstätte Buchenwald
Anrede,
wir haben uns heute hier vor dem Krematorium in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald versammelt, um des vor 75 Jahren von den Faschisten ermordeten Ernst Thälmann zu gedenken.
Auch elf Jahre in Einzelhaft konnten die Überzeugung des Kommunisten und Antifaschisten Thälmann nicht brechen.
Thälmanns Gradlinigkeit und sein Mut, sein Klartext gegenüber Ausbeutern, Kriegstreibern und Faschisten, sein Klasseninstinkt und seine Volksnähe können uns ein Vorbild sein!
Anrede,
Wir leben heute wieder in einer Zeit, in der nationalistische, völkische und faschistische Positionen und Parteien weltweit auf dem Vormarsch sind.
Hetze gegen Geflüchtete, Migranten und Muslime kommt längst nicht mehr nur vom rechten Rand. Der braune Hass ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Insbesondere der Bundesinnenminister Seehofer befeuert diesen Hass mit flüchtlingsfeindlichen Kampagnen, die letztlich nur der AfD in die Hände spielen.
Wer hätte gedacht, dass in der liberalen Wochenzeitung ZEIT einmal pro und contra darüber debattiert wird, ob es richtig ist, Flüchtlinge aus Seenot zu retten oder – ich zitiere – „soll man es lassen“? Die Verrohung ist wahrlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen!
Wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass es einmal als Straftat verfolgt wird, Menschen aus Seenot zu retten? Doch genau das geschieht heute in Italien. Die mutige Kapitänin Carola Rackete ist als Schleuserin angeklagt, weil sie Flüchtlinge in einen rettenden Hafen gebracht hat.
Flüchtlingshelfer werden nicht nur in Staaten wie Italien oder Ungarn mit ihren extrem rechten Regierungen verfolgt. Auch in Deutschland droht inzwischen Behördenmitarbeitern, die Abschiebetermine bekanntgeben, eine Haftstrafe.
Zudem häufen sich in Deutschland Morddrohungen gegen Flüchtlingshelfer, Journalisten und Politiker, die sich für eine humanitäre Flüchtlingspolitik einsetzen.
Der feige faschistische Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat gezeigt, dass es nicht bei Drohungen bleiben muss.
Anrede,
Erschreckend ist, dass „Antifa“ plötzlich bis in liberale Kreise hinein als Feindbild und Schimpfwort gilt.
US-Präsident Donald Trump will „die“ Antifa als „Terrororganisation“ verbieten.
Auch die AfD in Deutschland fordert das – ungeachtet der Tatsache, dass es „die Antifa“ als einheitliche Organisation gar nicht gibt.
Antifa ist vor allem ein Ausdruck für eine antifaschistische Gesinnung – und die sollte doch für jeden Demokraten und jede Demokratin eine Selbstverständlichkeit sein!
In solch bedrohlichen Zeiten ist es wichtig, sich an Persönlichkeiten wie Thälmann zu erinnern.
Denn Thälmann kann mit Fug und Recht als der eigentliche Begründer der Antifa bezeichnet werden!
Genauer gesagt natürlich der Antifaschistischen Aktion, die sich Anfang der 30er Jahre schon unter dem heute so bekannten Symbol mit den zwei Fahnen im Kreis sammelte.
Heute sind es oft eine rote und eine schwarze Fahne, die für das Bündnis von autonomen Antifaschisten mit sozialistischen und kommunistischen Antifaschisten stehen.
Anfang der 30er Jahre waren beide Fahnen noch rot, sie symbolisierten das Bündnis des kommunistischen und des sozialdemokratischen Flügels der Arbeiterbewegung, das die Faschisten stoppen sollte.
Zur Bildung der Antifaschistischen Aktion rief Thälmann am 25. Mai 1932 auf dem Maiplenum der KPD auf. Ziel war es, mit allen Mitteln die Bildung einer Nazi-Regierung zu verhindern. Thälmann forderte, die Antifaschistische Aktion müsse – Zitat – „dem Hitlerfaschismus den Weg zur Macht verlegen“, „der Faschisierung Deutschlands Einhalt gebieten“ und „durch den organisierten roten Massenselbstschutz in breitester Einheitsfront den Mordterror des Hitlerfaschismus brechen.“
An die Sozialdemokraten gewandt hieß es: „Schlagt in die Bruderhand ein, die die Kommunistische Partei euch bietet!“
Thälmann schlug vor, Einheitsausschüsse auf breitester Grundlage, Schutzformationen und andere Gremien zu bilden, die ein möglichst breites antifaschistisches Bündnis verwirklichen sollten.
Der Aufruf war ein Erfolg! Innerhalb von wenigen Wochen wurde die Antifaschistische Aktion zu einer deutschlandweiten organisierten Bewegung mit Massencharakter.
Neben Kommunisten und Parteilosen fanden sich zahlreiche Sozialdemokraten, Gewerkschafter und aktive Christen in ihren Reihen.
Arbeiter unterstützten die Antifaschistische Aktion ebenso wie Bauern, Intellektuelle und Mittelschichtsangehörige.
Der Erfolg der Antifaschistischen Aktion zeigte sich bei den Reichstagswahlen vom 6. November 1932. Die Nazipartei verlor fast 6 Millionen Stimmen und geriet in eine Krise. Die KPD dagegen erlangte ihren größten Einfluss. Sie errang fast 6 Millionen Stimmen. In Berlin etwa wählte jeder dritte Wähler kommunistisch.
Dass es der Arbeiterbewegung danach nicht gelang, ihrerseits in die Offensive zu kommen, die Nazis zu schlagen und dem Aufstieg des Faschismus ein Ende zu bereiten, hat verschiedene Gründe.
Sektiererische Fehler der Kommunisten müssen hier ebenso genannt werden wie die legalistischen Illusionen und die strikt antikommunistische Positionierung der sozialdemokratischen Führer, die den antifaschistischen Kampf behinderten.
Rückblickend können wir sagen: die Antifaschistische Aktion hat den Prozess der Faschisierung zumindest verlangsamt. Der 1932 von Thälmann mit der Antifaschistischen Aktion eingeschlagene Weg war grundsätzlich richtig. Und wir sollten daraus Lehren ziehen für den antifaschistischen Kampf heute!
So hatte Ernst Thälmann niemals die Illusion, dass der bürgerlich-kapitalistische Staat ernsthaft gegen die Faschisten vorgehen könnte. Denn er sah, dass die faschistischen Schläger ja als Hilfstruppen im Schoße dieses Staates genährt und geschützt wurden.
Auch in der Bundesrepublik gibt es kaum eine faschistische Gruppierung oder Terrorzelle, bei der nicht der Staat seine Hände im Spiel hat.
- Schon das Oktoberfestattentat 1980 wies die Handschrift der NATO-Geheimtruppe Gladio auf.
- Das erste NPD-Verbotsverfahren scheiterte 2003 an der Durchsetzung der rechtsextremen Partei mit Geheimdienst-V-Leuten. „Mangelnde Staatsferne“ nannten die Karlsruher Richter das zu Recht.
- Und über dem NSU spannten die Verfassungsschutzämter nach allem, was wir wissen, ein engmaschiges Netz, ohne die Morde zu verhindern.
Es gäbe unzählige weitere Beispiele für diesen braunen Sumpf aus Nazis und Geheimdienst. Vergessen wir nicht: bis vor einem Jahr stand mit Hans-Georg Maaßen ein Mann an der Spitze des Inlandsgeheimdienstes, der aus seiner Nähe zu AfD-Positionen keinen Hehl macht.
In Bundeswehr und Polizei werden mit schöner Regelmäßigkeit rechtsextreme Vorfälle entlarvt – und sofort wieder als vermeintliche „Einzelfälle“ verharmlost.
Prepper-Netzwerke, denen auch Elite-Soldaten, Polizisten und Verfassungsschützer angehören, horten gestohlene Munition für den Tag X. Und sie erstellen Feindes- und Todeslisten mit Namen von linken und demokratischen Politikern und Journalisten.
Auf eine solche Polizei und einen solchen Staat ist wahrlich kein Verlass im Kampf gegen Neonazismus und Faschismus! Da müssen wir schon selbst aktiv werden!
Eine Lehre der Antifaschistischen Aktion ist hier, dass der antifaschistische Kampf vor allem außerparlamentarisch geführt werden muss. Dort, wo die Nazis, AfD oder Pegida aufmarschieren, Infostände aufbauen, Veranstaltungen durchführen, müssen sie auf Protest und Gegenwehr stoßen. Wir müssen uns selbst organisieren und uns selbst schützen!
In den Parlamenten können und müssen wir dafür eintreten, die Bedingungen für außerparlamentarisches antifaschistisches Handeln möglichst günstig auszugestalten.
Doch Gesetzesverschärfungen und Grundrechteabbau unter dem Vorwand des Kampfes gegen rechten Terror müssen wir entschieden ablehnen. Denn alle diese Gesetzesverschärfungen werden erfahrungsgemäß auch – und nicht zuletzt! – gegen linke und antifaschistische Kräfte zur Anwendung kommen.
Anrede,
Es ist wichtig, die ganze breite antifaschistischer Selbstorganisationen anzuerkennen. Vom runden Tisch gegen Rassismus bei der Gemeinde unter Einschluss des Bürgermeisters und Pfarrers bis zur autonomen Antifa.
Alle Formen antifaschistischer Aktivität haben ihre Legitimität – Ausgrenzung darf es in keine Richtung geben! Das heißt vor allem: keine Distanzierung von der autonomen Antifa – Widerstand gegen die Wiedergänger der Faschismus ist auf allen Ebenen notwendig!
Antifaschistische Bündnisse müssen auf einer möglichst breiten Grundlage stehen. Das Bündnis „Unteilbar“ geht hier in die richtige Richtung. Dort sind eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Organisationen, Sozialverbände, linker und demokratischer Parteien, Gewerkschaften, kirchlicher Gruppen und Migrantenverbände vereint im Kampf gegen rechts, aber auch gegen soziale Ausgrenzung. Am kommenden Sonnabend ruft „Unteilbar“ zur nächsten bundesweiten Großdemonstration in Dresden auf. Im Aufruf heißt es:
„Gemeinsam stellen wir uns gegen Diskriminierung, Verarmung, Rassismus, Sexismus, Entrechtung und Nationalismus! Wir lassen nicht zu, dass Sozialstaat, Flucht und Migration gegeneinander ausgespielt werden und ergreifen die Initiative“ – Dem kann ich mich nur anschließen!
Antikapitalismus oder das Bekenntnis zum Sozialismus darf keine Eintrittshürde für breite Bündnisse gegen rechts, gegen die AfD und die Neonazis sein. Aber die konsequent linken, antikapitalistischen und sozialistischen Kräfte in solchen Bündnissen dürfen sich auch nicht im Namen der Einheit den Mund verbieten und die Hände binden lassen.
Wir sollten nicht bei bloßen moralischen Appellen gegen Rassismus und Faschismus stehen zu bleiben. Wir müssen vielmehr aufzeigen, dass die Wurzeln dieser Übel im Kapitalismus selbst liegen.
Darum ende ich mit den berühmten Worten aus dem Schwur der Überlebenden des KZ Buchenwald von 1945:
„Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“