Türkei fordert mehr Geld für Einhaltung des Flüchtlingspakts und plant Bau von Inhaftierungszentren. Griechische »Hotspots« völlig überfüllt
von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 25.01.2020)
Unmittelbar vor dem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag in der Türkei hat das Erdogan-Regime Forderungen zur Aufrechterhaltung des sogenannten Flüchtlingsdeals präsentiert. In Bild polterte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu, die EU verschleppe die Auszahlung von sechs Milliarden Euro für die Flüchtlingshilfe. Außerdem sei die EU weder in Sachen Zollunion, Beitrittsverhandlungen noch Visaerleichterung auf die Türkei zugegangen. »Schon allein aus den Gründen, die ich gerade genannt habe, hätten wir unsere Grenzen öffnen können«, so Cavusoglu und schob süffisant nach: »Sie haben das als Drohung wahrgenommen?«
Cavusoglu trifft mit seinen Bemerkungen einen wunden Punkt: Weil die EU teils unfähig, teils unwillig ist, innerhalb ihrer eigenen Grenzen für die Aufnahme und humane Behandlung von Flüchtlingen zu sorgen, hat sie die Türkei als Türsteher engagiert, damit sie möglichst keine Flüchtlingsboote mehr über die Ägäis lässt. Erdogan möchte sich dafür besser als bisher bezahlen lassen und spricht immer wieder davon, die Grenzen zur EU zu öffnen. Tatsächlich kamen im vergangenen Jahr mit 60.000 Flüchtlingen fast doppelt so viele Menschen wie 2017 über die Ägäis nach Griechenland. Die Lager auf Lesbos, Samos, Chios, Kos und Leros sind völlig überfüllt, rund 42.000 Menschen harren dort derzeit aus. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson wies die türkische Kritik an schleppender Zahlungspraxis zurück und erklärte, die Gelder würden planmäßig, aber nur projektbezogen ausgezahlt, etwa für den Bau von Schulen, Gesundheitszentren oder die Gehälter von Lehrern, die Kinder von Geflüchteten unterrichten.
Welche Folgen die Kooperation hat, zeigt sich in den sogenannten Hotspots auf den griechischen Inseln, in denen derzeit siebenmal mehr Menschen ausharren müssen als es Plätze gibt. Die Hilfsorganisation Pro Asyl wies am Freitag darauf hin, dass die Türkei an der syrischen Grenze den Bau von Inhaftierungszentren plane, in denen Schutzsuchende bis zum Ende des Verfahrens festgehalten werden sollen. Pro Asyl sprach von einem »menschenrechtlichen Niemandsland«, es drohe das »Verschwinden von Flüchtlingen.« Hunderte Menschen seien zudem gewaltsam aus der Türkei nach Syrien abgeschoben worden. Zugleich provoziert das türkische Regime mit seinem Angriff auf den Norden Syriens und der Entsendung dschihadistischer Milizen nach Libyen weitere Vertreibungen.
In Zagreb versammelten sich derweil die EU-Innenminister zu einem informellen Treffen bei dem es ebenfalls um Flüchtlingspolitik ging. Hierzu hatte zuletzt das deutsche Innenministerium Vorschläge gemacht, die stark dem »Modell« der griechischen Hotspots ähneln: In Lagern an den EU-Außengrenzen sollen Schutzsuchende gesammelt und ihnen erst nach Prüfung ihrer Asylanträge die Weiterreise gestattet werden. Pro Asyl kritisierte die Pläne als systematischen Angriff auf den Zugang zum individuellen Asylverfahren. Die geplanten »Haftlager« seien unverhältnismäßig und würden »zu katastrophalen Zuständen wie aktuell auf den griechischen Inseln führen«. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat unterdessen die von mehreren Bundesländern und Kommunen angebotene Aufnahme von Flüchtlingen aus den überfüllten Lagern in Griechenland abgelehnt. »Das kann man nur auf europäischer Ebene lösen«, sagte er am Freitag in Zagreb. Gleiches gelte auch für die Aufnahme von unbegleiteten Kindern.