Innenausschuss beriet über Neonazianschlag von Hanau. Debatte über Waffenrecht
von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 29.02.2020)
Nahezu fraktionsübergreifend fordern Abgeordnete des Bundestages von der Bundesregierung ein verstärktes Engagement gegen die extreme Rechte. Die Bundeskanzlerin müsse Antirassismus zur »Chefsache« machen, forderte unter anderem der SPD-Politiker Helge Lindh. Nach einer Sitzung des Innenausschusses am Donnerstag sprachen sich zudem Abgeordnete von Linken und Grünen dafür aus, zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Neonazismus künftig langfristig zu finanzieren, anstatt wie bislang nur kurze Projektzeiträume zu bewilligen.
Im Innenausschuss wurden die Abgeordneten von den Chefs der Sicherheitsbehörden über Details zu den Morden in Hanau und den bisherigen Ermittlungsstand unterrichtet. Demzufolge hatte sich der Täter Tobias Rathjen intensiv auf den Anschlag vorbereitet. BKA-Chef Holger Münch berichtete, Rathjen habe in den Wochen vor der Bluttat wesentlich häufiger im Sportschützenverein trainiert; zudem habe er die Bars, die er Mitte voriger Woche überfiel, ausgespäht. Die ersten neun Morde habe Rathjen innerhalb von nur zwölf Minuten begangen: Zunächst habe er auf offener Straße zwei Menschen ermordet, bevor er durch Schüsse durch die Tür einer Bar einen weiteren Menschen erschoss. Auf dem Weg zu einem Kiosk habe er eine weitere Person, am Kiosk selbst dann vier Personen getötet, und eine weitere in einer benachbarten Bar. Danach fuhr Rathjen zur Wohnung seiner Eltern, wo er mutmaßlich seine Mutter und sich selbst erschoss. Nähere Aufschlüsse zum Radikalisierungsverlauf von Rathjen und zur Frage, ob er Mitwisser oder gar Mittäter hatte, gab es bei der Ausschusssitzung nicht.
Nach der Sitzung zeichnete sich eine Debatte über eine Verschärfung des Waffenrechts ab. Die Polizei solle künftig nicht nur zur Strafverfolgung, sondern auch präventiv bei Personenkontrollen das Waffenregister abfragen dürfen, forderten Abgeordnete der Unionsfraktion. Zudem sollen die zuständigen Ordnungsämter informiert werden, wenn die Polizei von psychischen Auffälligkeiten legaler Waffenbesitzer erfährt. Hintergrund ist, dass Rathjen eine Stunde vor der Tat von der Polizei kontrolliert wurde, weil sein Wagen auf einem Behindertenparkplatz stand. Bei der Kontrolle soll Rathjen zwar nervös, aber nicht aggressiv gewirkt haben. Zudem habe Rathjen in einer Anzeige, die er im November vorigen Jahres an den Generalbundesanwalt geschickt hatte, klare Anzeichen von Verfolgungswahn – wenn auch nicht seiner rassistischen Gesinnung – gezeigt. In der Anzeige beklagte sich Rathjen über einen angeblichen Geheimdienst, der sich in die Gehirne der Menschen einklinke. »Wenn ein Waffenbesitzer offensichtlich psychisch auffällig wird, muss bei den Waffenbehörden die rote Lampe angehen«, wurde die Vorsitzende des Innenausschusses, Andrea Lindholz (CSU) in der FAZ zitiert. Auch Seehofer sagte, man müsse klären, ob man Personen bei »begründeten Zweifeln« an ihrer psychischen Stabilität den Waffenschein abnehmen könne. Angesprochen wurde in der Sitzung auch, dass auf Bundesebene niemand wisse, wie gründlich die Kontrollen von Waffenbesitzern durch die zuständigen örtlichen Behörden eigentlich durchgeführt werden.
Der Landesvorsitzende der saarländischen Gewerkschaft der Polizei (GdP), David Maaß, sieht sich derweil massiven Anfeindungen im Internet ausgesetzt, weil er in einem Facebook-Post die AfD als »eine der geistigen Brandstifterinnen des Rechtsextremismus« bezeichnet hatte. Das saarländische Innenministerium prüft ein Disziplinarverfahren gegen den Polizisten, weil sich Polizeibeamte im Dienst nicht politisch betätigen dürfen. Der GdP-Bundesvortand solidarisierte sich mit Maaß.
Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang hat derweil eingeräumt, seine Behörde habe in der Vergangenheit bei der Bekämpfung des Neonazismus »nicht immer geglänzt.« Hinsichtlich der V-Leute-Thematik und des Aktenschredderns bei den NSU-Morden gebe es immer noch Aufklärungsbedarf, sagte Haldenwang vorgestern bei einer Podiumsdiskussion in Wuppertal. Vor dem Veranstaltungsgebäude demonstrierten rund 100 Personen gegen die fragwürdige Rolle des Inlandsgeheimdienstes.