Bundesregierung hält ungeachtet der Coronakrise an Zwangsrückführungen fest
von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 04.04.2020)
In den letzten Wochen ist die deutsche Abschiebepolitik in vielen Bereichen durch die Covid-19-Pandemie fast zum Erliegen gekommen. Geplante Sammelabschiebungen in Länder wie Gambia, Afghanistan oder Somalia wurden gestoppt. Auch die Überstellungen im Rahmen der Dublin-Verordnung innerhalb der EU wurden vorerst eingestellt. Dies ist auch dringend geboten, denn in vielen Herkunfts- und Transitländern drohen den Geflüchteten nicht nur Krieg, Verfolgung und Perspektivlosigkeit. Hinzu kommt, dass es dort vielfach kein funktionierendes Gesundheitssystem gibt. Viele dieser Entscheidungen geschahen allerdings nicht aus Humanität, sondern schlicht und ergreifend deshalb, weil die Herkunftsstaaten die Aufnahme von Schutzsuchenden verweigerten. So musste eine Sammelabschiebung nach Gambia abgesagt werden, weil der westafrikanische Staat aufgrund der Coronakrise seinen Luftraum geschlossen hatte. Auch die Abschiebungen in das Kriegsland Afghanistan wurden nach Angaben des Bundesinnenministeriums erst auf Bitten der Regierung in Kabul ausgesetzt. Bei den »Dublin-Überstellungen« nach Italien sieht es ähnlich aus. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) setzte Rückführungen in das von der Coronapandemie geplagte Land erst aus, als die italienischen Behörden entschieden, keine Überstellungen mehr anzunehmen.
Während der Aussetzung der »Dublin-Abschiebungen« werden aber zugleich die Fristen für eine Übernahme des Verfahrens durch Deutschland unterbrochen. Für die Betroffenen wird also keine Rechtssicherheit geschaffen, ihre Überstellung wird nur auf unbestimmte Zeit verschoben. Dass die Bundesregierung auf Abschiebungen um jeden Preis setzt, zeigen verschiedene Einzelfälle. So will das Bundesinnenministerium Mitte April eine Frau vom Münchener Flughafen aus nach Togo abschieben. Ihr Asylantrag wurde im beschleunigten Flughafenverfahren abgelehnt, sie befindet sich nun in Abschiebehaft im Flughafentransit. Da es keine regulären Flüge gibt, soll eigens ein Flugzeug gechartert werden. Ein ähnlicher Vorgang war letzte Woche bekanntgeworden. Die Bundespolizei hatte für die Abschiebung zweier Frauen aus dem Frankfurter Flughafentransit in den Iran ein Flugzeug gechartert. Die für den 31. März geplante Abschiebung konnte erst im letzten Moment durch Proteste gestoppt werden.
Die Lage in den Bundesländern ist nicht einheitlich. Bayern und Schleswig-Holstein wollen Medienberichten zufolge trotz der Pandemie zumindest an Abschiebungen von »Straftätern« festhalten. Weitere Bundesländer wollen jeweils im Einzelfall prüfen, ob eine Abschiebung möglich ist. Nur Bremen und Sachsen teilten auf Anfrage von tagesschau.de mit, dass im Moment überhaupt keine Abschiebungen stattfänden. Auch die Inhaftierung von »Ausreisepflichtigen« in Abschiebehaft wird – trotz eindringlicher Appelle unter anderem von UN-Organisationen – in einigen Bundesländern fortgeführt. In Abschiebehaftanstalten besteht aufgrund der beengten Unterbringung eine hohe Infektionsgefahr mit dem Coronavirus. »Pro Asyl«, die Flüchtlingsräte, Die Linke und die Grünen im Bundestag sowie die Integrationsbeauftragten von neun Bundesländern fordern aufgrund der weltweiten Ausbreitung des Coronavirus einen bundesweiten Abschiebestopp. Schutzsuchende müssten davor geschützt werden, in Länder mit fragilen Gesundheitssystemen abgeschoben zu werden. Außerdem brauche es Rechtssicherheit für die Betroffenen, die Anwaltschaft und die Behörden.