Hotspots auf den griechischen Inseln
Kommentar von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 08.04.2020)
Deutliche Worte fand Bundesentwicklungsminister Gerd Müller nach dem Besuch des Flüchtlingslagers Moria auf Lesbos. Der CSU-Politiker sprach von einer »Schande« und erklärte, derartige Zustände gäbe es in »keinem Flüchtlingscamp in Afrika«. Der Minister forderte eine schnelle Umsetzung der geplanten Evakuierung von 1.600 Minderjährigen und einen Umbau des Lagers, um es den Standards des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) anzupassen. Schon vor Ausbruch der weltweiten Coronapandemie waren die Hotspots auf den griechischen Inseln lebensgefährlich. In Moria, das für 3.000 Personen ausgelegt ist, leben rund 20.000 Schutzsuchende auf engstem Raum. Mehrfach kamen Geflüchtete bei Bränden ums Leben. Frauen und Kinder sind sexuellen Übergriffen schutzlos ausgeliefert. Selbst Minderjährige unternehmen Suizidversuche.
Seit Monaten schaut die EU der beständigen Verschärfung der Lage tatenlos zu. Druck aus der Zivilgesellschaft ist es zu verdanken, dass Anfang März eine Gruppe von EU-Staaten die Aufnahme eines Gnadenkontingents von 1.600 besonders schutzbedürftigen Minderjährigen beschlossen hat. Doch passiert ist seither nicht das geringste. Statt mit gutem Beispiel voranzugehen, verweist die Bundesregierung auf die Zuständigkeit der EU-Kommission und verschiebt die Evakuierung der Geflüchteten so auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.
In Anbetracht der Coronapandemie läuft die Zeit davon. Wegen der schlechten hygienischen Bedingungen und der beengten Unterbringung ist die Infektionsgefahr in den Lagern, in denen es an sauberem Wasser, Toiletten und medizinischer Versorgung mangelt, kaum zu überschätzen. »Social distancing« klingt angesichts der Zustände in Moria wie reiner Hohn. Sollte sich das Virus in den Hotspots ausbreiten, droht eine humanitäre Katastrophe mit unabsehbar vielen Toten.
Müller hat recht, wenn er feststellt, dass sich diese unhaltbaren Zustände nicht allein durch die Aufnahme von rund 1.600 geflüchteten Minderjährigen beheben lassen. Doch seine Forderung, Moria in »kleinere Einheiten« umzubauen und so den Standards des UNHCR anzupassen, ist weltfremd. Denn an der völligen Überlastung der griechischen Inseln würde sich durch einen »Umbau« nichts ändern. Das UNHCR hat sich zu dieser Frage zudem klar geäußert. Mit Blick auf die Ausbreitung des Coronavirus fordert es die sofortige Freilassung aller in geschlossenen Einrichtungen oder bewachten Lagern festgehaltenen Flüchtlinge und Migranten.
Die Lager der Schande brauchen keinen neuen Anstrich, sie müssen vielmehr vollständig aufgelöst werden. Die dort lebenden Menschen müssen ihren Bedürfnissen entsprechend auf die EU-Staaten verteilt und dort versorgt werden – zum Schutz der Betroffenen, aber auch um die weitere Ausbreitung des Virus zu stoppen.