Riesiges Feuer zerstört größtes Flüchtlingslager Europas. Bewohner waren in Quarantäne. Seehofer blockiert weiterhin Aufnahme Schutzsuchender
von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 10.09.2020)
Bei einem Großbrand wurde Moria, das größte Flüchtlingslager Europas, in der Nacht zu Mittwoch vollständig zerstört. In dem für nur 2.800 Personen ausgelegten Camp auf der griechischen Insel Lesbos lebten zuletzt rund 13.000 Schutzsuchende, ein Drittel davon Minderjährige. Vor den Flammen flüchteten die Bewohner des restlos überfüllten Lagers auf die umliegenden Hügel oder machten sich auf den Weg zum Hafen der Inselhauptstadt Mytilini. Teilweise wurde ihnen dabei der Weg von Einwohnern der Insel versperrt – die Spannungen zwischen Flüchtlingen und den überforderten Einheimischen hatten sich bereits in den letzten Monaten verschärft. Tausende Schutzsuchende sind nun obdachlos, irren ohne Essen und Trinken durch die Hitze. Tote oder Verletzte gibt es griechischen Medien zufolge nicht. Wie die Brände entstanden sind, ist bisher noch unklar – die griechische Regierung geht von Brandstiftung aus. Über die Insel mit ihren 85.000 Einwohnern wurde nun ein viermonatiger Ausnahmezustand verhängt.
Griechische Behörden hatten das gesamte Lager am vergangenen Donnerstag für 14 Tage unter Quarantäne gestellt und abgeriegelt, nachdem ein Bewohner positiv auf das Coronavirus getestet worden war. Gegen die Massenquarantäne und die unmenschliche Unterbringung hatte sich im Lager Protest geregt – viele Bewohner hatten Angst, dem Virus durch die Zwangsquarantäne schutzlos ausgeliefert zu sein. Bereits seit Ende März sind die Bewegungsmöglichkeiten der 13.000 Schutzsuchenden stark eingeschränkt; die Ausgangssperre sollte nun noch verschärft werden. Bis Dienstag war bei 35 Menschen im Camp eine Infektion mit SARS-2 festgestellt worden.
An den Zuständen in Moria gibt es seit Jahren scharfe Kritik. »Man kann Menschen nicht jahrelang im Dreck leben lassen, ihnen Rechte vorenthalten, sie schließlich ungeschützt einer Pandemie aussetzen und dann überrascht sein, wenn sie gegen ihre Lebensbedingungen aufbegehren«, meint Ramona Lenz, Referentin für Flucht und Migration der Organisation Medico International. Europa müsse die Lager auf den griechischen Inseln endlich evakuieren. Das Bündnis Seebrücke ruft dazu auf, für die Aufnahme der Schutzsuchenden bundesweit auf die Straße zu gehen.10
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) blockiert weiterhin Aufnahmeangebote, obwohl sich inzwischen 174 deutsche Städte, Gemeinden und Landkreise dazu bereit erklärt haben, mehr Schutzsuchende zu beherbergen, als ihnen zugewiesen werden. Thüringen und Berlin wollen auf eigene Faust Geflüchtete aus den überfüllten griechischen Lagern aufnehmen. Doch Seehofer erteilte den Landesregierungen unter Verweis auf ein bundeseinheitliches Vorgehen jüngst eine Absage. Auch das Bremer Regierungsbündnis aus SPD, Grünen und Linken hat sich am Montag für ein Landesaufnahmeprogramm ausgesprochen, auf dessen Grundlage bis zu 100 besonders hilfsbedürftige Menschen aus griechischen Flüchtlingslagern in das kleinste Bundesland kommen könnten. Und am Morgen nach dem Brand kündigten mehrere Bundesländer an, ehemalige Bewohner von Moria zu sich holen zu wollen.
Moria ist das Ergebnis der deutschen und EU-Politik der Abschreckung von Flüchtlingen, der Abschottung und des Sterbenlassens an den EU-Außengrenzen. Die Bundesregierung, die derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, sitzt seit Jahren die katastrophale Situation auf den ägäischen Inseln unter Verweis auf eine nicht absehbare europäische Lösung aus.