Neue Asylrechtspläne der EU-Kommission schreiben menschenunwürdige Zustände an den Außengrenzen fest
Kommentar von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 24.09.2020)
Wenn die EU von »Solidarität« beim Umgang mit Flüchtlingen spricht, haben letztere nichts Gutes zu erwarten: Der am Mittwoch in Brüssel vorgestellte »Pakt zu Migration und Asyl« sieht eine weitere Entrechtung von Flüchtlingen vor. Über Asylanträge von Schutzsuchenden, die aus Ländern mit geringer Anerkennungsquote bei Asylverfahren stammen, soll künftig direkt an der EU-Außengrenze entschieden werden. Dieses Schnellverfahren soll für Menschen aus Ländern gelten, in denen die Schutzquote unter 20 Prozent liegt. Wer in diesen Lagern abgelehnt wird, soll dann direkt abgeschoben werden – das bedeutet nichts anderes als die Errichtung von De-facto-Internierungslagern an den EU-Außengrenzen. Für andere Flüchtlingsgruppen sind weiterhin »normale« Asylverfahren vorgesehen, wobei bis Redaktionsschluss unklar blieb, in welchen Ländern diese erfolgen sollen. Außerdem sieht der Entwurf eine verstärkte Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten bei Abschiebungen vor. Die menschenunwürdige Situation, der viele Flüchtlinge in der EU in provisorischen Lagern ausgesetzt sind, wird sich mit den Plänen eher verschlimmern als verbessern.
Besonders strittig zwischen den EU-Staaten ist die Verteilung von Schutzsuchenden: Die Mittelmeeranrainer sind mit der Aufnahme und der Bearbeitung von Asylanträgen überfordert und fordern eine Revision der sogenannten Dublin-Verordnung. Diese sieht vor, dass für Asylanträge dasjenige Land zuständig ist, in dem Flüchtlinge zuerst ankommen. Ein neues Verteilsystem scheitert aber vor allem an osteuropäischen Staaten, die sich gegen »zusätzliche« Aufnahmen sperren. Italien, Malta und Griechenland reagieren auf diese Blockade mit Schikanen gegen Flüchtlinge. Symptome dieser Abschreckungspolitik sind etwa die Elendslager auf den griechischen Inseln, aber auch der Umstand, dass aus Seenot gerettete Flüchtlinge mitunter wochenlang warten müssen, bis sie an Land gelassen werden.
Die vorgesehenen Lager für Schutzsuchende mit angeblich schlechten Anerkennungschancen machen das »Modell« von Elendslagern wie Moria zum allgemeinen Prinzip der EU. Dazu passt, dass Kommissionschefin Ursula von der Leyen schon vorige Woche ein »Pilotprojekt« zum Bau eines neuen Lagers auf Lesbos angekündigt hatte. Das deutsche Bundesinnenministerium, das sich schon voriges Jahr für eine »Vorprüfung« in geschlossenen Lagern an der EU-Außengrenze stark gemacht hat, hat sich damit weitgehend durchgesetzt.24
Eine verpflichtende Aufnahme von Flüchtlingen durch andere EU-Staaten ist im neuen Pakt nicht vorgesehen. In Ausnahmesituationen – etwa einem starken Anstieg der Flüchtlingszahlen wie 2015 – sollen aber alle EU-Staaten obligatorisch »Hilfe« leisten, entweder durch die Aufnahme von Flüchtlingen oder durch Unterstützung bei ihrer Abschiebung. Dieses »Angebot« dürfte Ländern wie Ungarn und Polen entgegenkommen. Der Entwurf sieht daher auch vor, Asyl- und Abschiebungsverfahren enger miteinander zu verknüpfen. Auch die Forderung nach verstärkter Kontrolle der EU-Außengrenzen und der Bekämpfung von Schleusern fehlt im Entwurf nicht, jedoch ohne Details zu nennen.
Mehrere Organisationen warnten am Mittwoch vor weiteren Einschnitten beim Flüchtlingsschutz. Es sei menschenunwürdig, Menschen auf der Flucht einzusperren, mahnte die Diakonie Deutschland. Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt sprach mit Blick auf die Kommissionsvorschläge gar von einem »teuflischen Pakt der Entrechtung«. In Massenlagern gebe es »keine fairen rechtsstaatlichen Asylverfahren«.