EU-Pläne zur Überwachung
Kommentar von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 14.11.2020)
Die EU-Innenminister nahmen auf ihrer Videokonferenz am Freitag das alte Spiel wieder auf: Die jüngsten islamistischen Anschläge in mehreren europäischen Städten dienen als Anlass, um europaweit Polizei und Geheimdienste aufzurüsten.
Zentral ist dabei der Gedanke der Überwachung und des Datenaustauschs: Die Behörden müssten wissen, »wer in den Schengen-Raum einreist und sich darin bewegt«, weswegen Ein- und Ausreisen nicht nur an den Grenzen kontrolliert, sondern auch »elektronisch erfasst« werden sollen. Die Idee ist selbstredend nicht erst nach den jüngsten Anschlägen entstanden. Diese haben jetzt aber die Funktion, das Konzept zu legitimieren. Ob die Anschläge – die ja mehrheitlich von Terroristen verübt werden, die schon seit langem in der EU leben bzw. hier geboren wurden – durch solche Datenspeicherungen wirklich vermieden werden können, ist dabei letztlich egal. Denn Daten unbescholtener Menschen auf Vorrat zu speichern ist seit langem ein Lieblingsprojekt sogenannter Sicherheitspolitiker. Deswegen soll der Datenaustausch zwischen europäischen Behörden nun noch enger erfolgen. Und deswegen haben die Minister am Freitag auch erneut den Ruf nach Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsteilnehmern geäußert. Diese wurde von einer Reihe nationaler und europäischer Gerichte bereits mehrfach verworfen. Seehofer setzte noch eins drauf und forderte, Sicherheitsbehörden müssten in die Lage versetzt werden, verschlüsselte Nachrichten bei mobiler Kommunikation mitzulesen.
Formal getrennt vom Antiterrorkampf, verlief am Freitag die Debatte über die »Asylreform« der EU. Praktisch fließt beides zunehmend ineinander, wie der Ruf nach verstärkter Kontrolle der Außengrenzen verdeutlicht.
Ohne eine gehörige Portion Doppelmoral kommt die EU dabei nicht aus. Während die Gefahr heimlich einsickernder »Gefährder« bzw. die Dringlichkeit ihrer »reibungslosen« Abschiebung beschworen wird, pflegt die EU weiterhin freundschaftliche Beziehungen zu Europas Terrorpaten Nummer eins, dem türkischen Diktator Recep Tayyip Erdogan. Der kann noch so offen seine schützende Hand über islamistische Banden in Syrien legen oder dschihadistische Söldner nach Libyen und Aserbaidschan entsenden – Hauptsache, er hält sich an den Deal, keine Flüchtlinge über die Ägäis zu lassen. Eine ernstgemeinte Terrorprävention sähe wohl anders aus.
Leicht ausmalen kann man sich da, wie die Verordnung zur Beseitigung terroristischer Internetinhalte, die noch in diesem Jahr verabschiedet werden soll, angewandt würde. Internetanbieter sollen auf Anforderung der Polizeibehörden inkriminierte Seiten binnen einer Stunde vom Netz nehmen. Das dürfte sich dann mit Sicherheit auch gegen Bewegungen wie die PKK oder die syrisch-kurdische YPG richten. Mit freundlicher Unterstützung aus Ankara.