Kriegskurs bestätigt

Kundus-Urteil in Strasbourg

Kommentar von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 17.02.2021)

 

Bitter: 100 getötete Zivilisten – aber Deutschland kommt straffrei davon. Das ist das Fazit des über zehnjährigen Rechtsstreits um den Bombenangriff von Kundus.

Zur Erinnerung: Bundeswehr-Oberst Klein hatte in der Nacht zum 4. September 2009 die Anregung der von ihm angeforderten US-Piloten, die Menschenmenge, die sich an zwei von Taliban entführten Tanklastern aufhielt, zunächst zu zerstreuen, in den Wind geschlagen. Der von Klein angeordneten Bombardierung fielen Dutzende Zivilisten zum Opfer, die sich mit Treibstoff versorgen wollten.

Bundeswehr und Bundesregierung versuchten danach, das Ausmaß des Verbrechens zu vertuschen. Feldjäger berichteten, der Tatort sei bereits »gereinigt«, Klein behauptete, er habe verlässliche Informationen erhalten, dass nur Taliban am Ort seien (später kam heraus: der angebliche Informant war selbst überhaupt nicht in der Nähe), und das Verteidigungsministerium sprach von einem »militärisch angemessenen« Schlag. Selbst NATO-Bündnispartner hielten das deutsche Vorgehen für fragwürdig, wie von Wikileaks veröffentlichte Dokumente zeigten. Der deutschen Justiz war das alles egal: 2010 stellte der Generalbundesanwalt die Ermittlungen ein. Es lasse sich nicht widerlegen, dass Oberst Klein davon überzeugt gewesen sei, es seien keine Zivilisten vor Ort.

Die Beschwerde eines Vaters zweiter getöteter Kinder hiergegen scheiterte vor dem Bundesverfassungsgericht und jetzt auch in Strasbourg. Ebenfalls gescheitert war bereits voriges Jahr der Versuch, die Bundesregierung zu Entschädigungszahlungen verurteilen zu lassen – das Bundesverfassungsgericht sah keine »Amtspflichtverletzung« von Oberst Klein.

In diesen Klageverfahren ging es nicht nur um Kundus. Es ging auch um die Frage: Muss die Bundesregierung, die weltweit militärisch »intervenieren« können will, damit rechnen, von Opfern ihrer Kriegspolitik juristisch und finanziell zur Kasse gebeten zu werden? Nein, muss sie nicht – das ist die Botschaft dieser Urteile. Solange ein Offizier nicht offen zugibt, bewusst Zivilisten umzubringen, kann er genau dies tun. Das Urteil spricht nicht nur allen Beteuerungen zur Unteilbarkeit der Menschenrechte Hohn – es sorgt dafür, dass der Interventionskurs Deutschlands und seiner Bündnispartner weitergehen kann, ohne von lästigen Zivilisten oder Menschenrechtsanwälten gestört zu werden.

Apologeten dieses Kurses ziehen nun sogar noch aus dem Kundus-Massaker ihre Argumente: Hätte die Bundeswehr bewaffnete Drohnen, ließen sich solche »Fehler« vermeiden, hieß es etwa in einem »Tagesschau«-Kommentar vom Dienstag unter Berufung auf einen früheren Wehrbeauftragten. Noch die Opfer der eigenen Skrupellosigkeit als Argument für weitere Aufrüstung zu instrumentalisieren – das ist wahre Meisterschaft im Zynismus.