Mit Gesetzentwurf der Bundesregierung gegen »Feindeslisten« drohen Gesinnungsjustiz und mehr Macht für Verfassungsschutz
von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 25.03.2021)
In sogenannten Feindeslisten sammeln Neonazis Daten über politische Gegnerinnen und Gegner, um diese einzuschüchtern oder am »Tag X« zu ermorden. Bislang gibt es kaum rechtliche Handhabe dagegen, insbesondere wenn die Daten aus frei recherchierbaren Quellen stammen. Verzichten Verbreiter auf konkrete Drohungen und belassen es bei subtilen Andeutungen, können sie nicht belangt werden. Ein Entwurf der Bundesregierung soll diese Gesetzeslücke nun schließen – doch das Vorhaben droht Meinungs- und Pressefreiheit weiter zu beschränken.
Der Entwurf sieht vor, die Verbreitung personenbezogener Daten mit bis zu drei Jahren Haft zu bestrafen, wenn sie »geeignet ist, diese Person oder eine ihr nahestehende Person der Gefahr« einer Straftat auszusetzen. Die »Geeignetheit« ist aus Sicht desjenigen, der die Namen, Adressen oder auch nur Fotos verbreitet, aber nicht immer klar einzuschätzen. Verbände und Journalisten hatten den ersten Entwurf des Gesetzes vor einigen Wochen scharf kritisiert, weil er die Gefahr berge, die Berichterstattung zu erschweren. Die vergangene Woche veröffentlichte Neufassung besagt, es liege keine Strafbarkeit vor, wenn es um »Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens« oder um »staatsbürgerliche Aufklärung« gehe. Auch die »Veröffentlichung der Recherchearbeit von Vereinen zur Aufdeckung extremistischer Bestrebungen« soll nicht justiziabel sein.
Doch andere Passagen der Gesetzesbegründung bergen weiterhin erhebliches Potential, nicht die Freiheit von Neonazis, sondern die ihrer Gegner zu beschneiden. Sie nennt verschiedene Indizien, aus denen ablesbar sein soll, ob ein strafrechtlich relevantes Handeln vorliegt, beispielsweise Demonstrationen, auf denen in aufgeheizter Stimmung Namen und Adressen politischer Gegner verbreitet werden. Noch problematischer ist der Hinweis, bei der Beurteilung der »Gefährdungseignung« seien »insbesondere die extremistische Ausrichtung der Internetseite, auf der die Daten verbreitet werden (in Abgrenzung zu sachlich-informativer Berichterstattung)«, oder »die Zuordnung einer Gruppierung aus dem extremistischen Spektrum oder zu verfassungswidrigen Organisationen« heranzuziehen.
Was die Frankfurter Allgemeine Zeitung darf, darf die junge Welt demnach noch lange nicht. Verbreitet die FAZ ein Foto einer »politisch umstrittenen« Person, ist dies »sachlich-informativ«. Macht die jW, die ja laut Verfassungsschutz als linksextremistisch gilt, das gleiche, unterstellt ihr die Staatsanwaltschaft womöglich, dies im Wissen zu tun, das könne einige ihre Leser zu Straftaten motivieren. Und eine vom Verfassungsschutz beobachtete Antifarecherchegruppe hätte wohl wenig Chancen, sich auf »staatsbürgerliche Aufklärung« zu berufen, wenn sie die Fotos von Mitgliedern einer Nazi-»Kameradschaft« veröffentlicht. Denn im Gesetzentwurf ist ausdrücklich auch vom »Outing« die Rede, also der Enttarnung politischer Gegner. Und es wird ebenso ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine »Verbreitung« von Daten schon dann vorliegt, wenn sie innerhalb einer abgeschlossenen Gruppe geschieht. Es genügt im Zweifelsfall bereits eine einzige Nachricht: »Im Internet liegt ein ›Verbreiten‹ jedenfalls bereits dann vor, wenn die fragliche Datei auf dem Rechner eines Internetnutzers angekommen ist.« Das Weiterleiten könnte dann ebenfalls strafbar sein.
Im Einzelfall wäre kaum absehbar, in welchen Fällen die Verbreitung von Daten Polizeibehörden oder Gerichte auf den Plan riefe. Wer auf Mieterdemos die Namen raffgieriger Wohnungsspekulanten ruft, müsste ebenso mit Strafverfolgung rechnen wie ein Streikposten, der persönliche Daten über seinen Ausbeuter »verbreitet«. Sogar der interne Austausch innerhalb politischer oder sozialkritischer Gruppen über ihre Gegner könnte unter den neuen Paragraphen fallen.
Das Problem der Feindeslisten darf nicht bagatellisiert werden, aber der »Lösungsansatz« der Bundesregierung beschränkt sich nicht auf den Schutz bedrohter Aktivisten. Er folgt vielmehr der Tendenz der Sicherheitspolitik der vergangenen Jahre, Handlungen, die an sich legal sind, dann zu sanktionieren, wenn sie von Leuten mit der »falschen« politischen Gesinnung begangen werden. Zudem bekäme der Verfassungsschutz weitgehende Definitionsmacht über die Grenzen von Meinungs- und Pressefreiheit. Er ist es, der das Label »extremistisch« an politische Gruppierungen vergibt.