Straftaten gegen Geflüchtete
Kommentar von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 03.03.2021)
Wenn es um feierliche Beteuerungen geht, wie wichtig der Kampf gegen rassistische Gewalt ist, sind die herrschenden Politiker in Deutschland stark. Der Alltag sieht jedoch anders aus: 1.606 Straftaten gegen Flüchtlinge wurden im vergangenen Jahr verzeichnet. Da erfahrungsgemäß noch mit Nachmeldungen zu rechnen ist, sind die Zahlen im Vergleich zu 2019 (damals waren es 1.621) sogar noch gestiegen. Der Rassismus in Deutschland kennt keinen Lockdown.
Das bedeutet: Jeden Tag kommt es vier bis fünf Mal zu einer rechten Straftat gegen Flüchtlinge. Unter den Straftaten waren letztes Jahr 246 Gewaltdelikte, über 200 Menschen wurden verletzt. Wie bedrohlich die faschistische Gefahr in Deutschland ist, zeigt sich auch daran, dass Beleidigungen, Hakenkreuzschmierereien usw. beinahe schon als Delikte erscheinen, die nicht »so schlimm« sind, weil sie Gesundheit oder Leben der Flüchtlinge nicht unmittelbar gefährden. Mittelbar aber schon – rechte Gewalt wird durch eine rassistische Grundstimmung angefeuert und ist potentiell tödlich, wie uns am Jahrestag des Terroranschlags von Hanau am 19. Februar eindrücklich ins Gedächtnis gerufen wurde.
Diese Verbrechen sind wohlgemerkt nur diejenigen, die offiziell als politisch motiviert gewertet werden. Rassistische Polizeigewalt – für die rassistische Grundstimmung in der Gesellschaft nicht unerheblich – fällt natürlich nicht darunter. Doch Racial Profiling ist in Deutschland ebenso Alltag wie Straftaten von Neonazis, und wird durch einschlägige Polizeigesetze regelrecht angeordnet. Außerhalb Deutschlands agieren die deutschen Staatsorgane noch unverblümter. Nicht nur, indem Deutschland maßgeblich die Abschottung der EU gegenüber Flüchtlingen betreibt, die zu Tausenden Ertrunkenen im Mittelmeer führt. Das Retten bleibt zivilen Organisationen überlassen, wie dem Seenotrettungsschiff »Sea-Watch 3«. Das hat in den letzten Tagen Hunderte von Schiffbrüchigen aus dem Wasser geholt. Kein einziges Mal hat es dabei Hilfestellung der italienischen, maltesischen oder einer anderen Küstenwache erhalten, die sehr wohl informiert waren, aber lieber untätig aus der Distanz zusahen. Jetzt liegt die Sea-Watch, mit 363 Schutzsuchenden an Bord, vor Anker und muss, wie jedesmal, regelrecht darum betteln, irgendwo anlanden zu dürfen. Dabei droht die erneute Beschlagnahmung des Schiffes und die Kriminalisierung der Besatzung als angebliche Schleuser. Die Bundesregierung könnte durch eine klare Aufnahmebereitschaft helfen, aber »einseitige« Maßnahmen lehnt der Bundesinnenminister ja bekanntlich ab, und einig ist sich die EU nur darin, abzuwarten, zu schikanieren und abzuschrecken. Insofern ist die rassistische Gewalt im Inneren nur das Spiegelbild der rassistischen Staatsgewalt im Äußeren. Krokodilstränen von Regierungspolitikern helfen da nicht.