Gegen Äquidistanz und die Aufkündigung internationaler Solidarität: Auch überarbeiteter Linke-Leitantrag zum Wahlprogramm muss geschärft werden
von Sevim Dagdelen und 04Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 04.05.2021)
Mit Annalena Baerbock haben die Grünen eine ihrer außenpolitischen Hardlinerinnen aufs Schild der Kanzlerkandidatur bei den Bundestagswahlen gehoben. Sie steht ein für weitere Kriegseinsätze (»mehr Verantwortung«) auch ohne UN-Mandat, für mehr Aufrüstung und fordert sowieso mehr Härte gegenüber Russland (»System Putin«), wozu ganz im Sinne der US-amerikanischen Frackinggasindustrie auch ein Stopp der Ostseepipeline Nord Stream 2 zählt. Von einer dringend notwendigen Entspannungspolitik mit Russland wollen die kalte Kriegerin und ihre Partei nichts wissen, als stramme Transatlantikerin hält Baerbock Bündnis 90/Die Grünen auf dem Konfrontationskurs des US-geführten NATO-Militärpakts. Nur wenige Monate nach dem Start der letzten Grünen-Regierungsbeteiligung im Bund befand sich Deutschland im Krieg, den NATO-Bomben auf Belgrad 1999 hatte der damalige grüne Vizekanzler Joseph Fischer den Weg gebahnt.
Die Linke steht bei den Bundestagswahlen im Herbst in der Verantwortung, in den großen Fragen von Frieden und Abrüstung klar Kurs zu halten und Flagge zu zeigen in der internationalen Solidarität und Zusammenarbeit. Zu Recht werden von der Linken hier Klarheit und Entschlossenheit erwartet. Am 12. April haben die Vorsitzenden unserer Partei, Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow, eine überarbeitete Fassung des Wahlprogrammentwurfs zur Bundestagswahl 2021 als Leitantrag vorgestellt. Er ist Grundlage für die weitere Diskussion in der Partei bis zur finalen Verabschiedung auf dem Parteitag im Juni. Es ist zu begrüßen, dass der massiven Kritik an einer ersten Textfassung, die noch von Katja Kipping und Bernd Riexinger verantwortet worden ist und in der friedenspolitische Positionen der Linken relativiert worden sind – offensichtlich mit Blick auf ein mögliches und gewünschtes »rot-rot-grünes« Regierungsbündnis –, in wichtigen Teilen bereits Rechnung getragen wird.
Kurs halten, Flagge zeigen
Tatsächlich sind friedenspolitische Positionen in der als Leitantrag vorgelegten Fassung präzisiert worden. So heißt es jetzt klar und deutlich: »Wir wollen alle Rüstungsexporte aus Deutschland verbieten.« Die Linke unterstützt »ein gesetzliches Verbot aller Rüstungsexporte«. Schließlich ist die Forderung nach Schließung aller ausländischen Militärbasen in Deutschland mit aufgenommen: »Entsprechende Verträge, auch mit den USA im Rahmen von Aufenthaltsvertrag und dem Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut, werden gekündigt«, heißt es da. Wir sollten diese Forderung nach vorne stellen, gerade auch vor dem Hintergrund der angekündigten Aufstockung der US-Truppen in Deutschland in Frontstellung zu Russland, die von den Transatlantikern quer durch das Parteienspektrum bejubelt wird.
Eine klare Absage gibt es auch an die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Dazu heißt es: »An einer Regierung, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt, werden wir uns nicht beteiligen.« Und weiter: »Die Bundeswehr muss aus Afghanistan, Mali und allen anderen Auslandseinsätzen abgezogen werden.« Im ersten Fall ist die Bundesregierung jetzt tatsächlich gezwungen, unsere seit Jahr und Tag erhobene Forderung nach Abzug der deutschen Soldaten nachzukommen, allerdings auch nur, weil US-Präsident Joseph Biden seinerseits den Rückzug der US-Truppen bis zum 11. September verfügt hat – und die anderen NATO-Truppen in der Folge ihrerseits die Heimreise antreten. Alleine können sie weder ihre eigene Sicherheit gewährleisten noch die Versorgung der Truppen aufrechterhalten.
Schließlich stellt Die Linke im neuen Leitantrag, wie von uns gefordert, klar: »Die Bundeswehr muss aus allen Auslandseinsätzen zurückgeholt werden und darf nicht in neue entsendet werden. Wir wollen die Mittel, die bisher für Auslandseinsätze ausgegeben werden, in ein ziviles Aufbau- und Friedenssicherungsprogramm investieren.«
Bei der Abrüstung müssen wir noch nachschärfen. So heißt es im Leitantrag: »Die Ausgaben der Bundesregierung für Rüstung und die Bundeswehr steigen stetig an. Die Bundesregierung steuert weiter auf das Ziel der NATO zu, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung auszugeben. Wir setzen auf Abrüstung, Demokratie und friedliche Außenpolitik, die Ausgaben für Rüstung müssen sinken.« Wir bleiben dabei: Die Linke will nicht nur weniger Aufrüstung, sie will Abrüstung!
Problematisch ist in diesem Zusammenhang die neu aufgenommene Passage: »Wir rufen dazu auf, im kommenden Jahr in allen Staaten weltweit die Militärausgaben um zehn Prozent zu senken. Wenn alle Staaten das gleichzeitig tun, bleibt die relative Sicherheit für jedes Land gleich – und es würde auf einen Schlag 183 Milliarden Dollar freisetzen, um die Coronafolgen zu finanzieren.«
Hier wird faktisch festgeschrieben, dass Die Linke nur zehn Prozent weniger für Rüstung ausgeben will, das wären 5,3 von aktuell 53 Milliarden Euro Militärausgaben nach NATO-Kriterien. Vor allem werden alle Länder dieser Welt gleichgesetzt: die USA, die allein für die Modernisierung ihres Atomwaffenarsenals mehr als 1.000 Milliarden Dollar einplanen, und die NATO-Staaten, die zusammen jährlich mittlerweile über eine Billion US-Dollar für Rüstung ausgeben, mit Ländern wie selbst dem sozialistischen Kuba oder dem mit Regime-Change-Angriffen konfrontierten Venezuela.
Falsche Gleichmacherei
Eine solche Gleichmacherei ist falsch und gefährlich, wird damit doch vor allem die Aggressivität der USA und NATO-Staaten, wie wir sie dieser Tage ja gerade gegenüber Russland und China erleben, verharmlost. Dringend notwendig ist dagegen die grundsätzliche Problematisierung der eskalierten Einkreisungs- und Konfrontationspolitik von USA und NATO gegenüber Russland wie auch gegenüber der Volksrepublik China. Hier heißt es im Leitantrag vernebelnd: »In den internationalen Beziehungen gibt es eine Eiszeit. Die USA und ihre Verbündeten auf der einen, China und Russland auf der anderen Seite haben den Sicherheitsrat und die Vereinten Nationen (UN) in den vergangenen Jahren blockiert.« Weiter heißt es immerhin präziser als in der Erstauflage: »Internationale Beziehungen wurden mit Donald Trump auf Eis gelegt. Doch auch mit dem neuen US-Präsidenten droht eine Fortsetzung des Konfrontationskurses. USA und EU versuchen, ihre Vormachtstellung gegen Russland und China durchzusetzen. In Strategiepapieren der NATO und EU werden Russland und China als Feindbilder beschrieben, das lehnen wir ab. Das droht, in einen neuen Kalten Krieg zu eskalieren.«
Leider hat es die von Bernd Riexinger in jW (15.2.2021) klar gefasste Einordnung der weltpolitischen Gemengelage nicht in den Leitantrag des Parteivorstandes geschafft: »Wir erleben einen Epochenbruch. Weltweit nehmen imperiale Spannungen und die Gefahr neuer Kriege zu. Die Vormachtstellung der USA in der Weltpolitik ist strukturell (!) angeknackst, ohne damit erledigt zu sein. Auch mit dem neuen Präsidenten Joseph Biden ist keineswegs eine Entspannung zu erwarten. Biden setzt den Konfrontationskurs gegenüber China fort. Mit Biden werden US-Interventionskriege der angeschlagenen Weltmacht, die weiter militärisch dominiert, wahrscheinlicher. Das verweist auf die Kontinuität imperialer Interessen.«
Allein: Das Wort »Imperialismus« sucht man auch im neuen Leitantrag vergeblich. Wie auch »Kapitalismus« überhaupt nur an drei Stellen kurze Erwähnung findet, darunter in der von Ellen Brombacher in einer Glosse in jW (16.2.2021) trefflich vorgeführten Formulierung: »Den entfesselten Raubtierkapitalismus wollen wir endlich an die Leine nehmen.« Eine grundsätzliche Kritik am Kapitalismus, eine Zurückweisung des ihm innewohnenden Unrechts fehlt im Linke-Leitantrag zum Wahlprogramm 2021, wie auch die internationale Solidarität eine einzige Leerstelle bleibt. Internationale Solidarität ist im Programmentwurf leider weiter Fehlanzeige. Weder die Blockade gegen Kuba noch die Putschpolitik der USA in Lateinamerika finden Erwähnung. Eine Aufforderung zu einem deutsch-russischen Freundschaftsvertrag zur Aussöhnung wie mit Frankreich sucht man ebenso vergeblich.
Ziel und Maxime für die Regierungswilligkeit bekundet der Leitantrag eingangs wie folgt: »Wir wollen einen sozialökologischen und friedenspolitischen Politikwechsel einleiten. Wir wollen einen politischen Neuanfang in unserem Land. Dafür stehen wir bereit, und das wollen wir machen. Die Linke ist kompromissbereit, was die Schrittlänge angeht. Doch die Richtung des Schrittes muss stimmen.« Wenn da nur nicht die Transatlantiker im Tarnfleck und der an die Leine zu nehmende entfesselte Raubtierkapitalismus in die falsche Richtung ziehen. Wir drängen weiter auf Korrektur der falschen Äquidistanz und auf ein klares Bekenntnis zur internationalen Solidarität. Sie sind unsere außenpolitischen Wegweiser und Säulen jedweder linken Friedenspolitik.
Die Autorinnen sind Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke