»Kollateralnutzen«: Wegen Coronapandemie weniger Bundeswehr-Propaganda in Schulen und weniger Nachwuchs rekrutiert worden
von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 28.05.2021)
Die Bundeswehr hat im vergangenen Jahr ihre Praxis, neue Rekruten in Schulen und auf Marktplätzen anzuwerben, aufgrund der Pandemieauflagen drastisch einschränken müssen. Im Ergebnis klafft eine Lücke, die Personalstärke fällt geringer aus als anvisiert. Das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion von Die Linke im Bundestag.
Starke Militärpräsenz auf Messen und bei Ausstellungen sowie eine gezielte Einflussnahme auf den Schulunterricht sind elementare Bestandteile der Nachwuchspolitik der Bundeswehr. An Schulen geben sich Jugendoffiziere und sogenannte Karriereberater in »normalen« Jahren die Klinke in die Hand. Die einen beschwören den friedens- beziehungsweise sicherheitsstiftenden Sinn der Bundeswehr. Die anderen preisen die angeblich großartigen Ausbildungs- und Berufschancen dort. Im Jahr 2019 hatten diese Werbestrategen noch 390.000 Schülerinnen und Schüler im Rahmen des Unterrichts agitiert. 2020 sind die Zahlen auf fast ein Drittel geschrumpft: 42.000 Schüler wurden durch Vorträge der Jugendoffiziere erreicht, knapp 80.000 durch die Karriereberater.
Nicht nur die Schüler selbst stehen im Fokus der Jugendoffiziere: Häufig versuchen die, gezielt auf Lehrer einzuwirken, damit diese als verlängerter Arm der Bundeswehr agieren. Auch hier gab es einen signifikanten Einbruch: Nur noch 3.443 Lehrer wurden erreicht, gegenüber 10.731 im Vorjahr. Mit dem Ausfall nahezu aller Messen und Ausstellungen im vergangenen Jahr gingen der Bundeswehr auch dort die Möglichkeiten zur Selbstdarstellung verloren. Im Jahr 2019 war sie bei 2.620 solchen Veranstaltungen präsent. Das war der höchste Wert, seit die Bundestagsfraktion von Die Linke im Jahr 2006 dies abfragt.
Im vergangenen Jahr schrumpfte die Zahl auf 700, darunter waren auch digitale Ausstellungsformate. Statt fast 500.000 Gesprächskontakten konnte die Bundeswehr nur noch rund 100.000 verbuchen. Weniger deutlich, aber dennoch signifikant ist auch der Rückgang an Zugriffen auf einschlägige Bundeswehr-Homepages, die von 81 Millionen auf 74 Millionen zurückgingen. Die Zahl öffentlicher Gelöbnisse und von Auftritten der Musikkorps sank ebenfalls auf rund ein Viertel der Vorjahreswerte.
Die Bundesregierung verweist darauf, man habe einen noch stärkeren Rückgang bei den Jugendoffizieren vermieden, indem diese »sich engagiert in den Fernunterricht eingebracht« haben. Konkrete Zahlen hierzu teilt sie allerdings nicht mit. Die Nutzung digitaler Formate bewertet die Regierung grundsätzlich als geeignet »zur begrenzten Fortsetzung der Öffentlichkeitsarbeit unter Pandemiebedingungen«, sie plant entsprechende Weiterentwicklungen.
Schüler- und Friedensinitiativen fordern schon lange, dass die Bundeswehr sich aus dem Unterricht heraushalten soll. Doch ungeteilte Freude darüber, dass dies im vergangenen Jahr so verbreitet umgesetzt wurde, mag der politische Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, Michael Schulze von Glaßer, nicht äußern. Schließlich hätten die Einschränkungen des Schulbetriebs sich äußerst negativ auf die Bildungsaussichten der Schüler ausgewirkt. Von Glaßer habe »überhaupt kein Verständnis dafür«, dass die für den Schulunterricht gebliebene »knappe Zeit« auch noch teilweise durch die Einbindung von Jugendoffizieren in den Fernunterricht »verschwendet« worden sei. »Dieser digitale Unterricht ist mühsam genug – dort sollte man sich auf die Vermittlung schulischen Wissens beschränken und nicht der Bundeswehr Raum für ihre Propaganda geben.«
Im Ergebnis hält die Bundesregierung fest, die Bundeswehr habe im vergangenen Jahr »einen moderaten Rückgang an Bewerbungszahlen« verzeichnen müssen. Das Ziel, 22.000 Soldaten und 2.000 Beamte einzustellen, sei nur zu 78 Prozent erreicht worden. Das sei ein »erfreulicher Kollateralnutzen der Pandemie«, so Schulze von Glaßer.