Parlament beschließt Verlagerung von Asylverfahren in Drittländer außerhalb der EU. Dominoeffekt befürchtet
von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 04.06.2021)
Flüchtlinge, die in Dänemark Asyl suchen, sollen zukünftig direkt nach Stellung ihres Antrags in ein Drittland außerhalb der EU gebracht werden. Dort soll dann ihr Asylbegehren geprüft werden. Im Falle eines positiven Bescheids sollen die Flüchtlinge auch nur in diesem Drittland, das im Gegenzug wohl finanzielle Unterstützung durch Dänemark erfahren wird, Schutzanspruch und Aufenthalt erhalten oder in ein UN-Flüchtlingslager überführt werden. Bei Ablehnung sollen sie von dort deportiert werden. Am Donnerstag nahm das Parlament in Kopenhagen das von den regierenden Sozialdemokraten vorgelegte Gesetz zur »Einführung der Möglichkeit der Überstellung von Asylbewerbern zur Beurteilung der Entscheidung über Asylanträge und Unterbringung in Drittländern« mit 70 gegen 24 Stimmen an.
Migrationsminister Mattias Tesfaye, selbst Sohn eines äthiopischen Einwanderers, hatte zur Gesetzesinitiative erklärt, seine Partei wolle nicht mehr, dass in Dänemark und in der EU massive Ressourcen für die Bearbeitung der Anträge von Hunderttausenden Asylbewerbern aufgewendet werden, obwohl die Hälfte davon keine Flüchtlinge seien. Das Gesetz geht weit über die ohnehin schon flüchtlingsfeindlichen Vorstellungen der EU-Kommission hinaus, die vorschlägt, Asylanträge an den Außengrenzen, aber innerhalb der EU vorzuprüfen, um gegebenenfalls schneller und einfacher abschieben zu können.
Unterstützung bei der Abstimmung erhielt die Minderheitsregierung von Ministerpräsidentin Mette Frederiksen durch die liberale Partei Venstre. Diese hatte ergänzend durchgesetzt, dass das Parlament über Verträge mit Drittstaaten zum Bau von Auffanglagern abstimmen müsse. Welche Staaten hier in Frage kommen, hatte die Regierung bislang nicht sagen können. Doch nach Informationen der Zeitung Jyllands-Posten wurden entsprechende Gespräche bereits mit Ägypten, Tunesien, Ruanda und Äthiopien geführt. In Ruanda, wo bereits ein von Dänemark mitfinanziertes Zentrum für Geflüchtete aus Libyen besteht, hatte Tesfaye Ende April mit der dortigen Regierung eine Absichtserklärung über Kooperation in den Bereichen Asyl und Migration unterzeichnet.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärte, dass jeder Versuch, Asylsuchende in ein Drittland zu schicken, nicht nur »gewissenlos, sondern potentiell rechtswidrig« sei. Pläne zur Verlegung des Asylverfahrens und des Schutzes von Flüchtlingen in ein anderes Land außerhalb der EU seien keine verantwortungsvolle und nachhaltige Lösung und widersprächen den Grundsätzen, auf denen die internationale Flüchtlingszusammenarbeit beruht, hatte der für die nordischen und baltischen Länder zuständige Vertreter des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR), Henrik Nordentoft, vor der Abstimmung erklärt. Das dänische Votum könnte einen Dominoeffekt in der EU auslösen, befürchtet Nordentoft.
Im Jahr 2015 waren noch mehr als 20.000 Schutzsuchende nach Dänemark gelangt. Im vergangenen Jahr stellten dort nur noch 1.500 Menschen einen Asylantrag. Die seit Sommer 2019 regierenden Sozialdemokraten haben die von der liberal-konservativen Vorgängerregierung eingeschlagene harte Linie in der Migrationspolitik noch deutlich verschärft. »Wir können kein Versprechen über null Asylsuchende abgeben, aber eine Vision formulieren: Dass wir ein neues Asylsystem haben wollen und alles dafür tun werden, es einzuführen«, hatte Ministerpräsidentin Frederiksen kürzlich verkündet.