Wenige Stunden, nachdem sich in Berlin der neue Bundestag einschließlich der völkisch-nationalistischen AfD-Fraktion konstituiert hatte, fand vom Flughafen in Leipzig eine Sammelabschiebung nach Afghanistan statt. Nach Angaben aus dem Bundesinnenministerium handelte es sich bei den aus sieben Bundesländern stammenden Flüchtlingen um elf Straftäter sowie um drei Personen, die eine Mitarbeit an der Identitätsfeststellung verweigert hätten. »Wer nach einem abgeschlossenen Asylverfahren und Inanspruchnahme aller rechtsstaatlichen Mittel bei uns kein Bleiberecht hat, muss unser Land verlassen«, rechtfertigte der sächsische Innenminister und Vorsitzende der Innenministerkonferenz Markus Ulbig (CDU) die Abschiebung in den Krieg. Konsequente Rückführungen seien notwendig »für die Akzeptanz unserer Asylpolitik bei den Bürgern«.
Seit Dezember 2016 fanden sieben Sammelabschiebungen von 128 abgelehnten Asylbewerbern nach Afghanistan statt. Nach einem Anschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul im Mai hatten sich Bund und Länder darauf verständigt, vorerst nur Straftäter, von der Polizei als »Gefährder« eingestufte Personen sowie solche, die »hartnäckig die Mitarbeit an der Identitätsfeststellung« verweigern, unter Zwang nach Afghanistan auszufliegen. Schon wer der Aufforderung der Behörden, sich zum Konsulat zu begeben, nicht folgt, muss damit rechnen, dass sein Verhalten als hartnäckige Weigerung ausgelegt wird.
Die tschechische Maschine mit den 14 Afghanen landete am frühen Mittwoch morgen in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Ein Abschiebeflug mit einer deutschen Airline kam nicht in Frage – denn die Bundesregierung hatte vergangene Woche alle deutschen Gesellschaften angewiesen, aus Sicherheitsgründen keine Flüge mehr nach Kabul durchführen. Es sei mit dem Beschuss der Flugzeuge und mit Angriffen auf den Flughafen zu rechnen. Diese Einschätzung teilt auch die US-Regierung, deren Außenminister Rex Tillerson am Dienstag zu einem Überraschungsbesuch in Afghanistan eintraf. Wie die New York Times anhand eines manipulierten Fotos entlarvte, hatte sich Tillerson mit dem afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani nicht – wie offiziell angegeben – im Präsidentenpalast in Kabul, sondern in einem fensterlosen Raum im US-Militärstützpunkt Bagram 20 Kilometer von der Hauptstadt entfernt getroffen. Das Risiko, den Außenminister von Bagram per Helikopter nach Kabul zu fliegen, sei zu hoch und eine Landung in Kabul gänzlich ausgeschlossen gewesen, hieß es aus Militärkreisen. In der vergangenen Woche starben in verschiedenen Regionen Afghanistans fast 250 Zivilisten und Sicherheitskräfte bei Anschlägen und Angriffen der Taliban und des Islamischen Staates.
Rund 150 Menschen protestierten am Flughafen Leipzig/Halle gegen die Sammelabschiebung. »Auch Strafgefangene dürfen nicht Gefahren ausgesetzt werden«, erklärte die Landtagsabgeordnete der Linkspartei Jule Nagel. Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt sprach von einer »verantwortungslosen Verneigung vor Rechtspopulisten«. Die wiedergewählte Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) kritisierte die Abschiebung als »deutlichen Widerspruch zu unserer humanitären Schutzverantwortung«. Bei den Sondierungsgesprächen über die Bildung einer Koalition aus Union, FDP und Grünen steht diesen Donnerstag die Flüchtlingspolitik auf der Tagesordnung. Abschiebungen dürften dabei ein Streitpunkt sein.