Prinzipielle Kritik übten mehrere Verfassungsrechtler am Montag in einer Sachverständigenanhörung des Bundestagsinnenausschusses am Entwurf des BKA-Gesetzes. Die Bundesregierung will dem Bundeskriminalamt (BKA) unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung umfassende neue Befugnisse bis hin zur heimlichen Onlinedurchsuchung von Privatcomputern geben. Der von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) vorgelegte Gesetzestext stieß beim Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar, bei Fredrik Roggan von der Humanistischen Union und den Professoren Martin Kutscha (Berlin) sowie Hansjörg Geiger (Frankfurt am Main) auf massive Bedenken. Da die SPD einschließlich ihrer Bundesjustizministerin Brigitte Zypries bereits bei den koalitionsinternen Verhandlungen gegenüber der Union eingeknickt war, steht zu befürchten, daß die Koalition ihr Vorhaben jetzt rasch durch Bundestag und Bundesrat bringen will. Dann wird wieder einmal das Bundesverfassungsgericht das letzte Wort haben. Einer Prüfung durch die Karlsruher Richter dürfte das Gesetz kaum standhalten.
Die Sachverständigen Fredrik Roggan und Martin Kutscha kamen zur Bewertung, das Gesetz sei allein schon wegen Kompetenzüberschreitung seitens des Bundes grundgesetzwidrig. Die Gefahrenabwehr obliege prinzipiell den Ländern. Roggan kritisierte, es verstoße gegen die Verfassung, wenn sich das BKA künftig schon im Vorfeld von Straftaten einschalten dürfe. Offenbar solle ein »deutsches FBI« geschaffen werden, so Kutscha.
Hansjörg Geiger, der in der früheren SPD-Grünen-Bundesregierung selbst Staatssekretär im Bundesjustizministerium und zuvor selbst BND-Präsident gewesen ist, warf dem Gesetzgeber vor, eine verfassungsrechtliche »Gesamtwürdigung« versäumt zu haben. Er rügte die fehlende Definition, was »internationaler Terrorismus« sein solle und befürchtet eine »uferlose« Anwendung dieses Begriffes. Die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit werde in Frage gestellt; zudem würden viele Regelungen gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel verstoßen. Auch Schaar erhob datenschutzrechtliche Bedenken, weil es zu Überschneidungen der Funktion des BKA mit der Tätigkeit derNachrichtendienste kommen werde. Einen in der Praxis wegen der fortschreitenden internationalen Zusammenarbeit bedeutsamen Mangel bei den Vorschriften zur Datenübermittlung bemängelte auch Kutscha: Im BKA-Gesetz fehlen Regelungen zur Einschränkung der Datenweitergabe an ausländische Stellen.
Besonders in der Kritik steht die Möglichkeit der heimlichen Onlinedurchsuchung. Kutscha erklärte diese Maßnahme als tiefen Eingriff in die Privatsphäre für verfassungswidrig. Als unverhältnismäßig wurden auch die Möglichkeiten der Rasterfahndung und des »Spähangriffs« bezeichnet. Mangels einer Beschränkung dieser Instrumente auf konkrete Gefahren seien auch sie grundgesetzwidrig. Schaar bestätigte, daß der vom Bundesverfassungsgericht vorgeschriebene Schutz des »Kernbereichs der privaten Lebensführung« nicht hinreichend gesichert sei. Sogar ein Befürworter des BKA-Gesetzes, der von der CDU/CSU benannte Passauer Professor Dirk Heckmann, hatte Nachbesserungsbedarf bei der neuen Regelung zur »Quellen-TKÜ«, dem Abhören von Telefonaten, die über PC’s geführt werden.
Roggan vertrat die Auffassung, bei fragwürdigen Gesetzen wie diesem sei eine Evaluation verfassungsrechtlich zwingend geboten; er kritisierte das Fehlen entsprechender Vorschriften im BKA-Gesetz. Die Ausnahmen vom Richtervorbehalt, wonach schwerwiegende Grundrechtseingriffe in Eilfällen bis zu drei Tage ohne richterlichen Beschluß zulässig werden sollen, nannte Roggan ebenfalls unhaltbar.
Daß in der Anhörung der Präsident des BKA, Jörg Ziercke, und der Präsident des Landeskriminalamtes Bayern, Peter Dathe, dem Gesetzentwurf zustimmten, verwunderte nicht. Sie hatten die verschärften Eingriffe in die Bürgerrechte selbst bei Schäuble bestellt und in ihm sowie auch in der SPD willfährige Erfüllungsgehilfen gefunden.