Die Union führt ein Possenspiel aus der antikommunistischen Hexenküche vor, dessen Gewinner feststehen: Es sind die Nazis und Antisemiten aller Couleur. »Das ist die Auflösung der Koalition gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus«, mußte Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden, angesichts der Unionstaktik feststellen. Tatsächlich haben es CDU/CSU nun fertiggebracht, ein gemeinsames Vorgehen der Demokraten zu sabotieren – dafür ist ihnen der Beifall von ganz rechts sicher.
Ein gemeinsamer Antrag wäre ein wichtiges Zeichen gewesen: Angesichts permanent hoher antisemitischer Straftaten und eines weitverbreiteten, latenten Antisemitismus in der Bevölkerung sollte die Einigkeit der demokratischen Parteien verdeutlicht werden. Gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte wäre das mehr als notwendig.
Doch die Union hat das Thema der Parteitaktik geopfert und abenteuerliche Scheinargumentationen vorgetragen, um Die Linke außen vor zu lassen: Zunächst schrieb sie einen Passus in den Text, der in schlechtester Totalitarismustradition der DDR systematischen Antisemitismus vorwarf. Als das selbst dem Koalitionspartner SPD zu plump war, schob die Union die Behauptung nach, man könne »mit den Linken keinen Antrag stellen, weil es nachweisbar antisemitische Kräfte, antizionistische Kräfte, antiisraelische Kräfte« in der Linksfraktion gebe, so CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl. Munter mit dem Hammer drauf – daß Antizionismus nicht mit Antisemitismus gleichzusetzen ist, übersteigt die Differenzierungswilligkeit der Union.
Die Unionsvorwürfe an Die Linke provozieren natürlich die Gegenfrage: Wie hält es die Union mit der Bekämpfung von Antisemitismus und Rechtsextremismus? Erst vor wenigen Tagen hat die niedersächsische Linksfraktion ein historisches Gutachten vorgestellt, das belegt, daß mindestens ein Viertel aller niedersächsischen CDU-, FDP- und DP-Landtagsabgeordneten aus den Jahren 1946–1994 ehemalige Mitglieder der NSDAP waren. Es gibt keinen Grund für die Annahme, bei Bundestagsabgeordneten sähe das anders aus.
Im Gegenteil: Welcher deutsche Staat hat denn die Planer, Helfer, Vollstrecker und Profiteure des Holocaust wie Globke, Schleyer und Flick in Amt und Würden übernommen? Wer hat denn jahrzehntelang verhindert, daß, von einigen symbolischen Verfahren abgesehen, Naziverbrecher vor Gericht gestellt werden? In der Bundeswehr waren von Anfang an die alten Nazigenerale tonangebend, und verehrt werden sie dort bis heute. Es war die Union, die 1998 im Bundestag dagegen gestimmt hat, den Angehörigen der faschistischen »Legion Condor« die Traditionswürdigkeit abzusprechen. In diesem Jahr ist ein Antrag der Linken, sogenannte Kriegsverräter zu rehabilitieren, d. h. Wehrmachtssoldaten, die Widerstand geleistet und in einigen Fällen ihr Gewehr umgedreht haben, auf den erbitterten Widerstand von CDU/CSU und FDP gestoßen – diese sehen in den Männern, die sich der NS-Vernichtungsmaschinerie verweigert hatten, immer noch Straftäter. Politiker der Union tummeln sich bis heute auf Revisionistentreffen, wie etwa im bayerischen Mittenwald, Schulter an Schulter mit Holocaustleugnern, Kriegsverbrechern und Rechtsextremisten. Sie hofieren bis heute den Bund der Vertriebenen, der über die Naziverbrechen den Schwamm wischen und Deutsche nur noch als Opfer des Zweiten Weltkrieges sehen will.
Wenigstens den Überlebenden des faschistischen Terrors Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – auch davon wollte die Union nie etwas wissen. Ihre Rolle in den Verhandlungen über die Entschädigung von Zwangsarbeitern war es, die Entschädigungssumme möglichst klein zu halten. Vor italienischen Gerichte ist jetzt entschieden worden, daß auch deutsches Staats-eigentum als Kompensation für die faschistischen Untaten beschlagnahmt werden kann – doch statt endlich den Opfern gerecht zu werden, setzt die Unions-SPD-Regierung nun darauf, Italien vor den Internationalen Gerichtshof zu zerren. Die Opfer und Überlebenden von Wehrmachtsmassakern sowie ihre Angehörigen sollen sterben, ohne jemals Entschädigung erhalten zu haben.
Die Aufklärung über antisemitische und rechtsextremistische Straftaten und Einstellungen in der Bevölkerung mußte im Bundestag stets gegen die Union durchgesetzt werden. Die Linke, und davor die PDS, haben jahrelang dafür gekämpft, Antworten auf entsprechende Kleine Anfragen zu erhalten. Bis heute neigen konservative Politiker dazu, neofaschistische Straftaten als »Jugendkrawall« zu entpolitisieren und damit zu verharmlosen. Der Bundestag hat schon im Jahr 2001 beschlossen, eine unabhängige Beobachtungsstelle für den Kampf gegen rechte Gewalt einzurichten – umgesetzt worden ist das bisher nicht, weder von der SPD-Grünen-Regierung noch von der Großen Koalition.
SPD, Grüne und FDP haben sich nun, nach anfänglichen Protesten, vor den Karren der Union spannen lassen. Es ist nicht das erste Mal, daß sie umfallen. Aber das Signal, das sie damit aussenden, ist fatal, denn es lautet: Wichtiger als die Bekämpfung des Antisemitismus ist ihnen die Ausgrenzung und Diffamierung der Linken. Wichtiger als die Bekämpfung des schlimmsten Auswuchses faschistischer Politik ist es der Union, ihren verworrenen Antikommunismus zu pflegen. Dabei bedenkt sie nicht, daß Antikommunismus und Antisemitismus gerade in der deutschen Geschichte auf fatale Art ineinander verwoben waren.