107. Sitzung des Deutschen Bundestages am Donnerstag, 27. Juni 2019 – TOP 11 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des
Staatsangehörigkeitsgesetzes
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung legt hier den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vor, das sie verschärfen will. Doppelstaatler, die sich ausländischen terroristischen Vereinigungen anschließen, sollen die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren. Zweifellos reden wir hier über IS-Terroristen, die skrupellose Killer sind. Doch wir reden hier auch über Personen, die sich in Deutschland radikalisiert haben. Durch den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit wird verhindert, dass diese Verbrecher in Deutschland abgeurteilt werden können. Es ist einfach nur scheinheilig, wenn die Bundesregierung Länder wie Tunesien zur Rücknahme von Straftätern nötigt und andererseits nicht bereit ist, Verantwortung für eigene Verbrecher zu übernehmen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Auf jene IS-Anhänger, die jetzt in Gefangenenlagern in Syrien und im Irak sitzen, lässt sich dieses Gesetz rückwirkend gar nicht anwenden. Was Sie hier vorhaben, ist also eine Mischung aus Symbolpolitik und Verantwortungslosigkeit. Der automatische Verlust der Staatsbürgerschaft ohne Verhältnismäßigkeits- und Härtefallprüfung ist zudem europarechtswidrig.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Philipp Amthor (CDU/CSU): Ach, Unsinn!)
Für die im Ausland lebenden Betroffenen wäre es nahezu unmöglich, effektiven Rechtsschutz zu bekommen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir Linken meinen: Wer Straftaten begeht, gehört vor Gericht. Wir verwahren uns aber strikt dagegen, das Staatsangehörigkeitsrecht zur Lösung gesellschaftlicher Probleme zu missbrauchen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ist diese Türe erst einmal geöffnet, wird es immer weitere Rufe nach Ausbürgerung von Straftätern bis hin zu politischen Oppositionellen geben. Doch eine Ausbürgerung von Personen, die nicht als würdig erachtet werden, Deutsche zu sein, verbietet das Grundgesetz als Lehre aus dem Faschismus.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir sagen daher ganz deutlich: Einen Verlust der Staatsbürgerschaft oder gar eine Ausbürgerung aus politischen Gründen darf es nicht geben.
Meine Damen und Herren, nach Ansicht der Koalition sollen Einbürgerungen von der – Zitat – „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ abhängig gemacht werden. Damit führen Sie eine schwammige Generalklausel ein, die den Rechtsanspruch auf Einbürgerung grundlegend infrage stellt. Diesen Rückschritt im Staatsbürgerschaftsrecht lehnen wir entschieden ab. Dahinter steckt nichts anderes als unerträgliche Ideologie der deutschen Leitkultur.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Als Ablehnungsgrund werden insbesondere sogenannte Vielehen genannt.
Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion der SPD?
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Ja, gerne.
Christian Petry (SPD):
Herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich darf Ihnen aus zwölfjähriger Erfahrung mit Einbürgerungen sagen – ich habe im Saarland bei der Einbürgerungsbehörde gearbeitet, und in der Zeit wurden etwa 14 000 Menschen eingebürgert -, dass der Begriff „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ bereits zwölf Jahre Bestandteil des Staatsangehörigkeitsrechts und der Ausführungsbestimmungen und somit kein neuer Begriff ist,
(Philipp Amthor (CDU/CSU): Sehr richtig!)
dass er rechtlich gefestigt zwei Dinge beinhaltet – das kann man auch nachlesen -: Das eine ist die Fähigkeit, die deutsche Sprache auf einem gewissen Sprachniveau nach dem Europäischen Referenzrahmen zu beherrschen. Das andere ist Ausfluss der Frage: „Wie prüft man denn die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse?“, nämlich der Einbürgerungstests, über dessen Sinn und Irrsinn man durchaus streiten kann. 98 Prozent bestehen ihn.
(Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das haben wir doch schon im Ausschuss gehört!)
Würden Sie mir zustimmen, dass Ihre Aussage, dass durch dieses Gesetz der Begriff „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ neu eingeführt würde, so nicht stimmt? Sondern er wird lediglich durch einen Aspekt ergänzt, nämlich dass die Mehrehe ausgeschlossen ist, und dies wird jetzt auch auf die Ermessenseinbürgerung nach acht Jahren und die Anspruchseinbürgerung nach zehn Jahren angewandt. Würden Sie mir zustimmen, dass dies kein neuer Begriff ist?
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Grigorios Aggelidis (FDP) – Philipp Amthor (CDU/CSU): Sehr richtig, Herr Kollege!)
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Ich habe überhaupt nicht von einem „neuen Begriff“ gesprochen, sondern es wird eine neue Festlegung getroffen.
(Philipp Amthor (CDU/CSU): Nein!)
Sie kennen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Danach war es bisher eine Ermessensfrage. Sie haben vielleicht an unserer Anhörung teilgenommen, bei der auch Sachverständige, die aus der Koalition bestellt wurden, diesen Punkt sehr, sehr kritisch beurteilt haben. Ich will ganz klar sagen: Natürlich ist für mich eine patriarchale Vielehe widerlich. Aber das Verbot löst das Problem nicht. Diese Menschen sind hierhergekommen, haben Schutz gesucht, und man muss nach wie vor eine Einzelfalllösung finden, wie es das Bundesverwaltungsgericht gefordert hat. Das ist mit dem neuen Entwurf im Grunde ausgeschlossen. Sie sind von vorneherein außen vor.
(Tino Chrupalla (AfD): So ein Scheiß!)
Ich meine, das ist nicht integrationsfördernd.
Ich will vor allen Dingen einen Punkt herausgreifen. Verlangen Sie wirklich, dass Frauen sich scheiden lassen müssen?
(Andrea Lindholz (CDU/CSU): Im Gegenteil!)
Es ist doch letztendlich so, dass dies den Frauen zum Nachteil ausgelegt wird; denn sie sind ja nicht diejenigen, die mehrere Männer heiraten, sondern die Männer heiraten mehrere Frauen. Das ist ein sehr sensibles Thema. Wir haben Ihnen in der Anhörung und auch im Ausschuss vorgeworfen, dass Sie diese Fragen viel zu schnell mal eben durchs Parlament jagen, anstatt sie auch mit dem Justizministerium ganz genau zu erörtern, sodass man wirklich eine saubere Lösung dafür findet. Ich jedenfalls denke: So wie Sie es im Moment machen, werden Sie vor allen Dingen den Frauen schaden und damit auch die Integration dieser Frauen infrage stellen.
(Beifall bei der LINKEN)
Selbstverständlich – ich hatte es eben schon gesagt – lehnen wir patriarchale Vielehen ab. Aber das ist, wie gesagt, keine Lösung der gesellschaftlichen Probleme.
Als Letztes möchte ich einen Punkt aufgreifen, der hier auch schon angesprochen wurde: Die Koalition möchte eine Staatsbürgerschaft zweiter Klasse schaffen,
(Philipp Amthor (CDU/CSU): Ach!)
indem sie die Frist zur Rücknahme von Einbürgerungen von fünf auf zehn Jahre verdoppeln möchte. In den letzten zehn Jahren gab es bei 1 Million Einbürgerungen gerade einmal läppische 125 Rücknahmen. Die Gründe dafür sind schon genannt worden: weil man falsche Angaben gemacht hat oder sonstige Gründe. Deshalb jetzt alle Eingebürgerten auf zehn Jahre hinaus zu Deutschen auf Widerruf zu machen, ist unverhältnismäßig und meines Erachtens auch integrationsfeindlich.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zum Schluss – mein letzter Satz -: Integration gelingt nicht durch Ausgrenzung,
(Christoph de Vries (CDU/CSU): Sondern durch Mehrehen! Ist klar!)
sondern durch gesellschaftliche Teilhabe. Davon sind wir fest überzeugt. Deswegen werden wir diesen Gesetzentwurf ablehnen.
(Beifall bei der LINKEN)