Neonazis in Behörden und Politik
Kommentar von Ulla Jelpke in der jungen Welt vom 19.12.2019
Wenn eine Regierung ihren Inlandsgeheimdienst eine eigene Stelle zur Enttarnung von Neonazis im öffentlichen Dienst einrichten lässt, so wie es Innenminister Horst Seehofer am Dienstag angekündigt hat, liegt offenkundig etwas im Argen. Egal, wie ernst der Vorstoß tatsächlich gemeint ist: Auch die Regierung muss eingestehen, dass es ein schwerwiegendes Problem gibt. Ein Problem freilich, das in weiten Teilen hausgemacht ist. Die als Reaktion auf die Aufdeckung immer neuer rechter Netzwerke in Polizei, Bundeswehr und Politik angekündigte Aufstockung von Geheimdienst und Bundeskriminalamt erinnert an die Nöte des Zauberlehrlings, der den von ihm selbst erschaffenen Knecht nicht mehr unter Kontrolle bekommt.Denn während Seehofer jetzt den »Kampf gegen Rechtsextremismus« als zentrale Aufgabe beschreibt, ist seine Schwesterpartei bereits damit überfordert, einen gewissen Robert Möritz aus dem Kreisvorstand Anhalt-Bitterfeld rauszuwerfen. Obwohl der als Ordner bei einer Nazidemo tätig war und bis heute eine »Schwarze Sonne« auf den Ellbogen tätowiert hat – ein Symbol, das 1934 von der SS kreiert wurde. Zudem war der Mann bis vor ein paar Tagen Mitglied im mutmaßlich extrem rechten »Uniter«-Verein, in dem sich vorwiegend (ehemalige) Soldaten und Polizisten aus Spezialeinheiten vernetzt haben. Gegen Personen aus dem Umfeld des Vereins, der u. a. Kampf- und Schießtrainings anbietet, wird wegen des Verdachts der Vorbereitung von Terroranschlägen ermittelt. Nach Medienrecherchen sind mindestens vier weitere Mitglieder der sachsen-anhaltischen CDU bei »Uniter«, die zugleich Mitglied des »Konservativen Kreises« der Union sind. Dessen Sprecher wiederum fordert offen eine Kooperation mit der AfD, weil es da größere inhaltliche Schnittmengen gebe. Der Tagesspiegel deckte am Mittwoch noch auf, dass ein Dozent der Brandenburger Polizeihochschule regionaler Distriktleiter von »Uniter« ist. Er soll den Verein gestern verlassen haben.
Der Verfassungsschutzchef fordert nun einen »ganzheitlichen Ansatz« gegen Neonazis. Recht hat er. Denn hierzulande gedeihen »Rechtspopulismus« und Neonazismus in einem Umfeld, das zunehmend von Stichworten wie »deutsche Leitkultur«, »Grenzkontrollen«, »Asylmissbrauch«, »Ausländerkriminalität«, »Gefängnis für Ausreisepflichtige«, »Verschärfung des Asylrechts« usw. geprägt ist. Und zwar von der großen Koalition inklusive ihres Innenministers. Und genau deswegen bleibt die Ankündigung des Verfassungsschutzes heiße Luft. Nähme er sich ernst, müsste er sich ohnehin selbst abschaffen. Denn angesichts seiner schon häufig gezeigten Tendenz, Neonazis als V-Leute zu sponsern und vor dem Zugriff der Polizei zu schützen, ist er längst Teil des Problems. Ihn jetzt auch noch zu stärken, ist genau das Gegenteil von wirksamem Antifaschismus. Der Zauberlehrling lässt grüßen.