Rede von Ulla Jelpke (DIE LINKE.) zu TOP 22 der 214. Sitzung des 16. Deutschen Bundestages
a) Erste Beratung des von der Fraktion DIE LINKE. eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes > Drucksache 16/12415 <
b) Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verlängerung der Frist für die gesetzliche Altfallregelung > Drucksache 16/12434 <
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
wie Sie wissen, ist die Beendigung der so genannten Kettenduldungen ist eine wesentliche innenpolitische Forderung der Linksfraktion. Einen geeigneten Gesetzentwurf haben wir bereits zu Beginn dieser Wahlperiode hier vorgelegt. Danach sollte die Erteilung eines Aufenthaltstitels allein von der bisherigen Aufenthaltsdauer abhängig sein. An dieser Forderung halten wir auch weiterhin fest. Die Entwicklungen bei der Zahl der Geduldeten und insbesondere der langjährig Geduldeten zeigen, dass das Problem mit der aktuellen Altfallregelung nur kurzfristig gelindert werden konnte. Die Zahl derjenigen, die seit mehr als sechs Jahren lediglich geduldet werden, stagniert seit über einem Jahr. Es ist nicht auszuschließen, dass sie auch wieder steigt. Deshalb brauchen wir gesetzliche Regelungen, die die Entstehung von Kettenduldungen dauerhaft verhindert und bestehende Kettenduldungen beendet.
Leider konnte sich die Linksfraktion mit ihrem Vorschlag damals nicht durchsetzen. Stattdessen wurden zunächst von der Innenministerkonferenz und dann vom Bundestag eine völlig ungenügende und hartherzige Regelung beschlossen. Im Sommer 2007 trat eine so genannte Altfallregelung für langjährig geduldete Flüchtlinge in Deutschland in Kraft. Wir haben schon damals scharf kritisiert, dass der Bundestag diese Bleiberechtsregelung an eine ganze Reihe von Bedingungen geknüpft hat. Wer eine Aufenthaltserlaubnis beantragt, muss gesetzestreu gewesen sein, darf keine Verbindungen zu vermeintlichen Extremisten haben, soll immer mit der Ausländerbehörde kooperiert haben. Die schwierigste Hürde ist aber der eigenständige Lebensunterhalt. Das geht aus den Zahlen, die wir regelmäßig erfragen, ganz klar hervor. 80 Prozent derjenigen, die das Bleiberecht beantragt haben, sind nur im Besitz einer so genannten Aufenthaltserlaubnis „auf Probe“. Das sind insgesamt über 28.000 Menschen. Können sie zum 31. Dezember dieses Jahres nicht nachweisen, von eigenem Gehalt leben zu können, droht der Rückfall in die Duldung. Und in einigen Fällen, das muss man ganz klar sagen, droht die sofortige Abschiebung.
Davor hat die LINKE von Beginn an gewarnt. Leider wurden unsere Warnungen von der Realität noch überholt, denn die derzeitige Wirtschaftskrise war im Sommer 2007 noch nicht absehbar. Migrantinnen und Migranten in Beschäftigungssektoren mit geringen Qualifikationsanforderungen werden am härtesten getroffen. Wer nur eine gering qualifizierte Beschäftigung hat, ist von Arbeitsplatzverlust du Lohneinbußen am stärkten betroffen. Es ist nahe liegend, dass gerade die ehemals Geduldeten im besonderen Maße von dieser Entwicklung betroffen sind.
Zum Kriterium des eigenständigen Lebensunterhalts ist mittlerweile auch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ergangen. Dieses Urteil hat klargestellt, dass auch jeder nur theoretisch bestehende Anspruch auf ergänzende Hilfen des Staates bedeutet, dass dieses Kriterium nicht erfüllt wird. Die Konsequenzen dieses Urteils sind noch nicht im Einzelnen absehbar. Die erforderlichen Verdienstgrenzen liegen über dem, was die Ausländerbehörden bisher als Verdienstgrenzen festgelegt hatten, abgesehen von allen Unterschieden zwischen den Bundesländern. Gerade für Familien mit mehreren Kindern, in denen nur ein Elternteil erwerbstätig sein kann, wird mit diesem Urteil eine geradezu unüberwindliche Hürde geschaffen. Auch hier muss gegengesteuert werden, um nicht ausgerechnet die Familien faktisch von der Bleiberechtsregelung auszuschließen.
Deshalb fordern wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, bei der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnisse auf den eigenständigen Lebensunterhalt zu verzichten. Dies muss selbstverständlich auch für die auf Probe erteilten Aufenthaltserlaubnisse gelten. Die Gesetzesänderung dient in erster Linie dem Ziel, den ursprünglichen Gesetzeszweck auch wirklich erreichen zu können, nämlich eine langfristige Aufenthaltsperspektive für die Betroffenen.
Mit diesem Status Quo soll dem Bundestag in der kommenden Wahlperiode die Gelegenheit gegeben werden, eine dauerhaft wirksame Bleiberechtsregelung zu beschließen. Aber wir können nicht mehr bis zur nächsten Wahlperiode warten. Die Koalition hat die derzeitige Regelung so gestrickt, dass noch in diesem Jahr etwas getan werden muss. Der nächste Bundestag wird aller Erfahrung nach nicht mehr genug Zeit haben, noch in diesem Jahr eine Neuregelung zu beschließen. Zudem muss der Bundesrat dem ebenfalls zustimmen. Ich kann also alle Fraktionen nur einladen, unseren Vorschlag zügig zu beraten.
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