Nach brutalem Polizeieinsatz während LL-Demo in Berlin: Widersprüchliche Aussagen der Bundesregierung zum FDJ-Verbot
Beitrag von Ulla Jelpke in junge Welt vom 2.März 2021
Am kommenden Sonntag feiert die Freie Deutsche Jugend (FDJ) ihren 75. Geburtstag. Nicht nur die junge Welt als einstiges Zentralorgan ist dem Jugendverband traditionell verbunden. Einige Aktivisten haben die in der DDR Millionen Mitglieder starke Organisation als kleine sozialistische Propagandatruppe am Leben gehalten, die bevorzugt mit Straßentheater und Schalmeien die Verbrechen des deutschen Imperialismus anprangert. Dass eine Gruppe Jugendlicher – wie in jedem Jahr – in Blauhemden und mit FDJ-Fahnen am 10. Januar an der Gedenkdemonstration für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in Berlin teilnahm, war im Jahr 2021 erstmals Anlass heftiger Polizeiübergriffe. Die Berliner Polizeiführung rechtfertigte ihr Vorgehen mit dem seit 1954 bestehenden Verbot der FDJ in Westdeutschland. Beamte nahmen eine Reihe von Demonstranten fest und verletzten viele Teilnehmer.
Das Vorgehen der Polizei erfolgte zu Unrecht, wenn man der Argumentation der Bundesregierung folgt. Denn es gibt keine Kenntnisse über ein mögliches illegales Weiterbestehen der verbotenen West-FDJ, heißt es in der jetzt vorliegenden Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion. Statt dessen stellt die Bundesregierung klar: »Die FDJ wurde nach der Wiedervereinigung vom Verbot nicht umfasst, da sie eine eigene juristisch unterscheidbare Person darstellt und (…) als Verein mit Rechtsnachfolge der FDJ in der ehemaligen DDR fortgesetzt wird«. So sicherte der Einigungsvertrag ausdrücklich Vereinigungen, die vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik entstanden sind, ihr Weiterbestehen zu. Und der Webseite der FDJ sei zu entnehmen, dass sie sich als Fortführung der Jugendorganisation der DDR versteht, so die Bundesregierung. Die FDJ sei außerdem kein Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Das durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 1954 ausgesprochene Verbot der »FDJ in Westdeutschland« gilt im Geltungsbereich des Grundgesetzes, stellt die Bundesregierung nun klar, um sich anschließend aus der Verantwortung für die Folgen des Urteils zu stehlen: »Sich daraus ergebende strafrechtliche Prüfungen obliegen den Justizbehörden der Länder und sind Einzelfallentscheidungen«. In Bayern und Berlin hatte es in den letzten Jahren mehrfach Prozesse gegen Aktivisten wegen des Tragens von Blauhemden gegeben, die aber mit Freisprüchen endeten. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages hatten hierzu im Jahr 2014 erklärt, nach überwiegender juristischer Auffassung sei zwar die heutige Verwendung von FDJ-Abzeichnen und -Hemd strafbar. Gleichwohl werde der Straftatbestand »in der Praxis nicht angewendet«. Zu diesem juristischen Verwirrspiel dürfte auch beitragen, dass die Symbole der verbotenen West-FDJ identisch mit denen der DDR-FDJ waren.
Die FDJ in der BRD wurde 1951 aufgrund der von ihr mit vorbereiteten Volksbefragung »gegen Remilitarisierung« von der Bundesregierung verboten, 1954 folgte das Verbot durch das Bundesverwaltungsgericht. Die damaligen Verbotsgründe sind von der Geschichte längst überholt. Doch »eine ›Relegalisierung‹ rechtskräftig und unanfechtbar verbotener verfassungswidriger Organisationen ist nicht vorgesehen«, stellt die Bundesregierung nun klar. Damit besteht das FDJ-Verbot ebenso wie das 1956 vom Bundesverfassungsgericht verkündete KPD-Verbot als anachronistisches Relikt des Kalten Kriegs weiter.