Kommentar von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 18.08.2021)
Die westliche Welt reibt sich verwundert die Augen, dass sie von rückständigen Bauern besiegt werden konnte. Leitmedien, wie kürzlich Bild, stellen die bange Frage, ob »unsere« Soldaten »umsonst« gestorben seien. Ja, das sind sie. Ebenso wie Zehntausende Afghanen. 20 Jahre lang haben die kriegführenden Staaten ihren Bevölkerungen »Fortschrittsberichte« verkauft und in leuchtenden Farben gemalt, wie am Hindukusch der Aufbau eines demokratischen Staatswesens militärisch abgesichert werde. 20 Jahre lang wurden afghanische Soldaten und Polizisten auch von ihren deutschen Kollegen ausgebildet. Berichte von Menschenrechtsorganisationen, denen zufolge viele Uniformierte nach ihrer Ausbildung zu den Taliban überwechseln oder sich als kriminelle Wegelagerer gebärden, wurden von der Bundesregierung beiseite gewischt. Auf parlamentarische Anfragen hin wurde stets versichert, es gebe eine fortlaufende »Professionalisierung« und »regelmäßige Verbesserungen« der afghanischen Sicherheitskräfte.
Doch kaum waren ihre westlichen Mentoren davongeflogen, warfen sie ihre Uniformen weg. Buchstäblich niemand in Afghanistan ist bereit, sich für ein Regime einzusetzen, dessen Verteidigung von den Besatzern 20 Jahre lang als alternativlos bezeichnet wurde.
Zur Stärkung der säkular und progressiv ausgerichteten Kräfte in Afghanistan wurde nur ein Bruchteil derjenigen Mittel ausgegeben, die für den Kriegseinsatz bereitstanden. Und so gibt es niemanden, der sich den zutiefst reaktionären Taliban entgegenstellen könnte. Die größte Hoffnung ruht jetzt darauf, die Taliban selbst seien ein bisschen moderater und verständiger als früher – allein das zeigt das fulminante Scheitern des westlichen Einsatzes und die Arroganz, mit der sich der Imperialismus als Heilsbringer inszeniert hat.
Dass die Evakuierung der afghanischen Helfer der Bundeswehr so lange verzögert wurde, bis es für die meisten zu spät war, wird zu Recht als Skandal bezeichnet. Doch nicht minder skandalös ist die Tatsache, dass Innenminister Horst Seehofer (CSU) noch vor zwei Wochen Flüchtlinge nach Kabul abschieben wollte, weil es dort ja angeblich sicher sei. Nicht minder skandalös ist der Umstand, dass Familienangehörigen von Flüchtlingen die Einreise nach Deutschland praktisch unmöglich gemacht wurde, indem sie darauf hingewiesen wurden, sie mögen ihre Visa bitte in Islamabad oder Teheran beantragen. Über eine Luftbrücke wurde erst nachgedacht, als die Taliban schon in Kabul standen.
Der Kriegseinsatz in Afghanistan diente zu keinem Zeitpunkt dem Aufbau einer Demokratie. Er war von Anfang an illegitim. Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung hat das stets auch so empfunden – wichtig ist aber nicht nur tiefes Misstrauen gegenüber jeglicher Kriegspropaganda, sondern auch effektiver Widerstand gegen die Kriegspolitik.