Antisemitismus zeigte sich auch in der BRD bei Fragen des Staatsangehörigkeitsrechts
von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 01.07.2021)
Der Sachverständige Nicholas Courtman konstatierte in seiner Stellungnahme zur Anhörung des Bundestagsinnenausschusses zum Gesetzentwurf zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts am 7. Juni: »Die Geschichte der Regelung der staatsangehörigkeitsrechtlichen Belange von NS-Verfolgten und deren Nachfahren ist kein ruhmreiches Blatt in der Geschichte der Bundesrepublik.« Viele der gravierendsten Missstände in diesem Bereich ließen sich auf die Entscheidungen unverkennbar antisemitisch handelnder Ministerialbeamter sowie Politikerinnen und Politiker in den 1950er Jahren zurückführen.
Durch die Novelle des Staatsangehörigkeitsgesetzes erhalten einen Einbürgerungsanspruch nun auch Nachfahren von Juden, Sinti und Roma, die ihren ständigen Wohnsitz im »Dritten Reich« gehabt hatten, ohne die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben zu können. Denn diese war unter dem Naziregime mit dem Nachweis einer »arischen« Abstammung verbunden. Viele der fast 100.000 Juden sowie die zahlreichen Sinti und Roma ohne deutschen Pass hatten ihren dauernden Aufenthalt in Deutschland durch Emigration oder Flucht, Ausweisung oder Deportation in Konzentrationslager außerhalb des Territoriums des Deutschen Reiches verloren. Im Jahr 1956 bezeichnete es die »Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland« daher als »Gebot der Gerechtigkeit«, diesen Personen die Möglichkeit zur Einbürgerung zu geben.
Der Leiter der Unterabteilung für Staatsrecht im Bundesinnenministerium (BMI), Werner Füßlein, NSDAP-Mitglied seit 1933, ließ das Ansinnen damals prüfen. Der Referent für Ausländer- und Aufenthaltsrecht Kurt Breull, NSDAP-Mitglied seit 1930, kam zu dem Schluss: »Durch die Zubilligung eines Rechtsanspruchs auf Aufenthalt im Bundesgebiet würden ihnen also Rechte gegeben, die sie vor dem Verlassen Deutschlands nicht gehabt haben. Eine derartige Besserstellung geht über die der Wiedergutmachung zugrunde liegenden Gedanken weit hinaus.«
Sogenannten deutschen Volkszugehörigen aus osteuropäischen Ländern, die in der Waffen-SS gedient hatten, wurde dagegen durch das Staatsangehörigkeitsregelungsgesetz ein Einbürgerungsanspruch zugestanden. Und 1953 hatte sich das BMI dafür verwendet, Waffen-SS-Angehörigen aus westlichen Ländern, die aus Angst vor Strafverfolgung durch ihre Herkunftsstaaten unter falschem Namen in der Bundesrepublik lebten, eine beschleunigte, gebührenfreie Einbürgerung zu ermöglichen.
Zwar schrieben Einbürgerungsrichtlinien im Jahr 1958 Erleichterungen der Einbürgerung ehemals rassistisch Verfolgter vor. Diese Richtlinien wurden allerdings nie veröffentlicht, denn deutschstämmige Juden galten den Naziseilschaften im BMI als »unerwünschte Antragsteller«, wie es während einer Ministerialbesprechung am 11. Mai 1954 explizit formuliert wurde.
Dieser Ungeist lebte fort, auch als die Altnazis bereits im Ruhestand waren. Noch 1990 verwehrte das BMI Juden und Jüdinnen, die während des Naziregimes nach Palästina emigriert waren, die Wiedereinbürgerung mit der Begründung, sie hätten sich »freiwillig« von Deutschland abgewandt.