Bund soll’s richten

Coronabekämpfung: Bundesregierung will in die Kommunen durchregieren, Kabinett beschließt Entwurf für neues Infektionsschutzgesetz

von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 14.04.2021)

 

Bei der Coronaeindämmung setzt die Bundesregierung jetzt auf Zentralismus: Das Kabinett beschloss am Dienstag einen Gesetzentwurf für bundeseinheitliche Coronabeschränkungen, der auch eine nächtliche Ausgangssperre vorsieht. Demnach müssen, sobald an drei aufeinanderfolgenden Tagen mehr als 100 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner registriert werden, die betroffenen Landkreise Kaufhäuser, Gastronomie und Hotels schließen. Private Zusammenkünfte werden auf den eigenen Haushalt plus maximal eine weitere Person beschränkt. Sport ist nur nur noch im Freien und maximal zu zweit oder mit Haushaltsangehörigen erlaubt. Schüler müssen zweimal pro Woche getestet werden, ab einer Inzidenz von 200 ist der Präsenzunterricht verboten. Die Länder können zusätzliche Einschränkungen beschließen.

»Maßnahmen nach bundeseinheitlichen Standards«, heißt es in der Gesetzesbegründung, seien erforderlich, »um der staatlichen Schutzpflicht für Leben und Gesundheit zu entsprechen«. Damit behauptet die Bundesregierung faktisch, Schuld an der »dritten Welle« seien die Länder und Kommunen, die mitunter von beschlossenen Einschränkungen abweichen. Das soll künftig verboten sein: Das Gesetz steckt nicht nur einen Rahmen möglicher Maßnahmen ab, sondern schreibt deren Anwendung zwingend vor und nimmt den Kommunen damit jeglichen Spielraum, um regionale Besonderheiten zu berücksichtigen oder durch Teststrategien gewisse Öffnungen zu erproben.

Der Deutsche Landkreistag kritisierte das Vorhaben als ein »in Gesetz gegossenes Misstrauensvotum gegenüber Ländern und Kommunen«. Abgestellt wird alleine auf den Inzidenzwert, ohne weitere Kriterien zu berücksichtigen, wie etwa Bettenkapazitäten in Krankenhäusern oder eine Unterscheidung zwischen eingrenzbaren Clustern und diffusen Infektionsgeschehen. Erst wenn die Inzidenz an fünf aufeinanderfolgenden Werktagen unter 100 liegt, sollen die Maßnahmen ab dem übernächsten Tag wieder außer Kraft treten.

Die meisten werden derzeit ohnehin schon umgesetzt – neu ist aber die Anweisung, zwischen 21 und fünf Uhr die Wohnung nur noch aus »gewichtigen und unabweisbaren Gründen« zu verlassen, etwa um zur Arbeit zu gehen, Pflegebedürftige zu versorgen oder den Hund auszuführen. Die Bundesregierung begründet das sehr pragmatisch: Die Maßnahme diene dazu, die Einhaltung der allgemeinen Kontaktregeln sicherzustellen, die gerade nachts von den Ordnungsämtern kaum kontrolliert werden können.

Die Frage, ob die in der Vergangenheit von manchen Bundesländern verhängten Ausgangssperren irgendeine Wirkung gezeigt haben, wird nicht erörtert. Gänzlich unberücksichtigt bleiben zudem Erkenntnisse, wie sie am Dienstag die Gesellschaft für Aerosolforschung veröffentlichte: Infektionen fänden »fast ausnahmslos in Innenräumen statt« und nur »äußerst selten« im Freien, so die Wissenschaftler in einem offenen Brief an politische Entscheidungsträger. Deswegen sei es sinnlos, Treffen in Parks zu verbieten, auch Ausgangssperren »versprechen mehr, als sie halten können«. Unter diesem Aspekt erscheint die pauschale Beschränkung privater Zusammenkünfte sogar im Freien als grob unverhältnismäßig.

Schließlich verleiht der Gesetzentwurf der Bundesregierung das Recht, auf dem Verordnungsweg zusätzliche Maßnahmen zu verhängen. Das können sowohl Erleichterungen sein (etwa für Geimpfte) als auch Verschärfungen. Gesetzestext und -begründung enthalten keinerlei Präzisierungen, was die Regierung alles beschließen darf, auch eine Befristung ist nicht vorgesehen. Immerhin müssen die Verordnungen – anders als in einem früheren Entwurf vorgesehen – sowohl von Bundesrat als auch Bundestag autorisiert werden.

Die Kritik der Oppositionsparteien konzentrierte sich am Dienstag überwiegend auf die vorgesehene Ausgangssperre, die von Sprechern von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke als »unverhältnismäßig« bezeichnet wurde. Gut möglich, dass dies im Kalkül der Regierungsparteien liegt, um eine Generalkritik am Gesetzespaket zu vermeiden.