Absage an die Friedenspolitik

Der Entwurf zum Wahlprogramm der Partei Die Linke 2021 muss grundlegend geändert werden

von Sevim Dagdelen und Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 11.02.2021)

 

Sprache kann verräterisch sein. Im Programmentwurf zur Bundestagswahl, den die beiden scheidenden Linke-Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger zu verantworten haben, werden zentrale friedenspolitische Positionen der Partei relativiert. Im Text heißt es etwa bezogen auf den EU-Haushalt, man wolle »weniger Ausgaben für militärische Aufrüstung«. Von der einstigen Ablehnung der Militarisierung der EU keine Spur, Aufrüstung als Ziel wird nicht abgelehnt, es sollen lediglich weniger finanzielle Mittel in Rüstungsprojekte und Militär der EU fließen. Der Entwurf bewegt sich im Spannungsverhältnis zwischen der klaren Forderung »Eine Beteiligung der Bundeswehr an NATO-Kriegseinsätzen lehnen wir ab« und der Forderung »Die Bundeswehr muss aus allen Auslandseinsätzen zurückgeholt werden«. Damit bleibt programmatisch Spielraum, die Bundeswehr in neue Auslandseinsätze, die UN-mandatiert sind wie der UNIFIL-Einsatz vor der Küste Libanons oder die sich wie beim Mali-Einsatz auf eine EU-Rechtsgrundlage berufen, zu schicken. Selbst der NATO-Einsatz im Irak wird von den Forderungen im Wahlprogramm der Linken nicht tangiert. Und nicht zuletzt: Die Absage an Rüstungsexporte wird auf die lange Bank geschoben: »Perspektivisch wollen wir alle Rüstungsexporte aus Deutschland einstellen«, wird formuliert.

Da keine politischen Begründungen im Entwurf für diesen friedenspolitischen Paradigmenwechsel geliefert werden, liegt die Interpretation nahe, dass mit diesem Programmentwurf eine Regierungsoption für eine »rot-rot-grüne« Bundesregierung mit Beteiligung der Linken eröffnet werden soll, die die Militarisierung der EU weiter mitbetreibt, neue Auslandseinsätze mit UN- und EU-Mandat auflegen kann und zugleich weiter Rüstungsexporte genehmigt. Damit aber werden zentrale friedenspolitische Grundpositionen der Linken zur Disposition gestellt.

Regime-Change-Fonds

Mit einer Orientierung auf eine SPD, die von Rüstungsexporten nicht lassen will, und die Grünen, die am liebsten mit UN-Mandat gegen Russland und China losschlagen würden, nimmt es denn auch nicht wunder, dass sich im Programmentwurf der Linken selbst ein Angriff auf UN-Charta und Völkerrecht findet. Unter der Überschrift »Menschenrechte durchsetzen« heißt es: »Wir wollen Zivilgesellschaft fördern statt Deals mit Diktatoren schließen! Dazu werden wir einen Fonds auflegen zur Förderung von zivilgesellschaftlichen Akteuren, die sich weltweit für Demokratie, Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit einsetzen, ihn wollen wir mit substantiellen finanziellen Mitteln ausstatten.« Was auf den ersten Blick nach einem Mittel internationaler Solidarität klingt, wird sich in der Realität einer Regierung eines imperialistischen Staates als Fonds für den Sturz missliebiger Regierungen weltweit nach dem Vorbild entsprechender Fonds in den USA erweisen.

Während in Deutschland klar geregelt ist, dass Parteien keine Spenden über 1.000 Euro von Geldgebern außerhalb der EU annehmen dürfen, wollen die scheidenden Parteivorsitzenden eben dieses Recht für die Bundesregierung weltweit etablieren. Man fordert also global etwas, was in Deutschland sofort zu strafrechtlichen Ermittlungen führen würde. Es sei zudem dahingestellt, ob dies wirklich den entsprechenden Demokratiebewegungen hilft, wenn sie künftig das Label tragen, von einer deutschen Bundesregierung mitfinanziert zu werden, die auf Dominanz und globale Hegemonie an der Seite der USA zielt. Es steht die Frage, ob dies wirklich die Lehre ist aus zwei verlorenen Weltkriegen, die Welt mit Geld Mores lehren und sich als moralischer Weltpolizist aufspielen zu wollen. Und wie in den USA würde ein solcher Fonds wohl kaum Protestbewegungen in NATO-Staaten oder befreundeten Diktaturen wie Saudi-Arabien, den Emiraten und Katar finanzieren. Es ist erschreckend, dass man sich mit der programmatischen Auflegung dieses Fonds in die völkerrechtswidrige Regime-Change-Strategie der USA und der EU einreiht. Sollte diese Formulierung durchkommen, würde sich Die Linke sogar noch stärker als SPD und Grüne als globaler Scharfmacher etablieren. Mit dem Fonds drohte Die Linke dann weltweit zivile Mittel für kriegerische Zwecke einzusetzen.

Etablierung von Äquidistanz

In der Frage des Verhältnisses zu Russland und den USA wird im Entwurf eine bisher von den Parteitagen der Linken stets zurückgewiesene Äquidistanz etabliert. Die brandgefährliche Einkreisungs- und Konfrontationspolitik der USA und der NATO gegenüber Russland wie auch gegenüber der Volksrepublik China und die damit verbundene Hochrüstungspolitik inklusive der großangelegten Modernisierung des US-amerikanischen Atomwaffenprogramms wird nicht grundlegend für die internationalen Beziehungen problematisiert. Statt dessen trieft der Text von einem geradezu krampfhaften Bemühen, die USA, Russland und China gleichzusetzen. Da ist von »Konfrontation zwischen Russland, China und den USA« die Rede. »In den internationalen Beziehungen gibt es eine Eiszeit«, heißt es an anderer Stelle dazu passend. Und: »Die USA und ihre Verbündeten auf der einen, China und Russland auf der anderen Seite haben den Sicherheitsrat und die Vereinten Nationen (UNO) in den vergangenen Jahren blockiert.«

Schlimmer kann man die globale Konfliktlage kaum verharmlosen. Es war ja die US-Administration unter Präsident Donald Trump, die sich einseitig aus einer Vielzahl internationaler Verträge zurückgezogen und internationale Kooperation torpediert hat, und sein Nachfolger Joseph Biden hat in der ersten außenpolitischen Grundsatzrede gerade bekräftigt, Russland und China hart anfassen zu wollen. Diese Eskalationspolitik der USA, die die Bundesregierung freundlich begleitet, ist kein Thema. Es stünde der Linken dagegen gut zu Gesicht, bei der Gelegenheit daran zu erinnern, dass die USA zusammen mit den anderen 28 NATO-Mitgliedern mehr als eine Billion US-Dollar für Rüstung und Militär ausgeben. Jährlich. Das ist 15mal soviel wie Russland und immer noch viermal soviel wie China. Die USA verfügen über ein Netz von 1.000 Militärstützpunkten im Ausland, China hat einen, in Dschibuti. Im Programmentwurf wird darüber auf 137 Seiten vornehm geschwiegen – wie auch die Linke-Forderung nach Schließung der Drohnenmordzentrale Ramstein und aller anderen US-Basen in Deutschland ebenso verschwunden ist wie ein Bekenntnis zur Solidarität mit dem sozialistischen Kuba und dem bedrängten Venezuela.

Man fragt sich wirklich, wer denn die scheidenden Vorsitzenden bei Fassung des Entwurfs beraten hat. In Reaktion auf die von den USA aufgekündigten Abrüstungsabkommen heißt es im Kipping-Riexinger-Entwurf: »Deutschland soll sich für einen Vertrag zur Ächtung von Mittelstreckenraketen einsetzen, der die USA, China und Russland mit einbezieht.« Die Linke tritt natürlich für Abrüstung ein – in Deutschland wie global. Gleichwohl sollten die Realitäten zur Grundlage der eigenen Positionierung gemacht werden: Die USA und Russland haben jeweils noch circa 6.000 Atomwaffen, China 300 – die chinesische Position, die atomaren Supermächte sollten erst einmal selbst abrüsten, bevor die Volksrepublik ihrerseits in die Pflicht genommen werde, ist zumindest nachvollziehbar. Die im Wahlprogrammentwurf aufgebrachte Forderung dagegen deckt sich eins zu eins mit der Trump-Position und verkehrt die Kräfteverhältnisse. Trump hatte ja immer eine Einbeziehung Chinas gefordert und so den Ausstieg der USA begründet. Neokonservative Positionen aus den USA sind allerdings schlecht dazu geeignet, als Stichwortgeber linker Abrüstungspolitik zu dienen.

Sprachliche Weichspülung

Statt auf ein Heranrobben an die Positionen der SPD und Grünen zu setzen, muss Die Linke dringend ihr friedenspolitisches Programm schärfen. Die Linke sollte mit klaren und konsequent antimilitaristischen Positionierungen zur Außen- und Friedenspolitik um Zustimmung bei der Bundestagswahl werben und aufhören, die Partei durch falsche Äquidistanz in den internationalen Beziehungen und sprachliche Weichspülung für die Fata Morgana »Rot-Rot-Grün« weiter aufzuhübschen und programmatisch damit nach rechts zu verrücken. Die Linke wird gebraucht als verlässlicher Bündnispartner der Friedensbewegung im Deutschen Bundestag und progressiver Kräfte international. Wir denken, bei den Mitgliedern der Partei wie bei den Wählerinnen und Wählern wird politische Klarheit und Prinzipienfestigkeit honoriert. Dazu gehören friedens- und abrüstungspolitische Wahlversprechen wie die unmissverständliche Absage an eine Militarisierung der EU, an Auslandseinsätze der Bundeswehr und wie das Eintreten für ein sofortiges Verbot von Rüstungsexporten. Es braucht eine klare Maßgabe, dass Die Linke sich an keiner Regierung beteiligen wird, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt, die Kriege führt und die Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht ausnahmslos beendet, angefangen mit Afghanistan und Mali. Die Linke sollte zudem die besondere Bedeutung guter deutsch-russischer Beziehungen bekräftigen, gerade im Jahr, an dem sich der Überfall der faschistischen Wehrmacht auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 zum 80. Mal jährt. Deutsche haben im Zweiten Weltkrieg unermessliches Leid über dieses Land gebracht und sind für mehr als 27 Millionen Tote verantwortlich. In Russland ist das bis heute nicht vergessen, und in Deutschland dürfen wir das nie vergessen. Wir brauchen eine Politik der Entspannung gegenüber Russland, keine weitere Eskalation und NATO-Truppenaufmärsche an dessen Westgrenze. Das ist eine der großen Lehren und Verpflichtung aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Linke muss festhalten, dass Embargo und Blockade Krieg mit anderen Mitteln sind. Und angesichts der Pandemie muss sie auf ein Ende der Wirtschaftskriege drängen. Die Linke sollte daher ausdrücklich die im März 2020 mit Blick auf die dramatischen Folgen der Coronapandemie vorgebrachte Forderung der UN nach einer sofortigen und vollständigen Aufhebung von Wirtschaftssanktionen unterstützen. Die einseitigen Strafmaßnahmen der USA und EU gegen Iran, Syrien, Nordkorea, Venezuela, Nicaragua, Kuba und Russland sind völkerrechtswidrig, unterminieren den globalen Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus und gefährden damit die Sicherheit der Menschen weltweit. Die Blockaden erschweren die notwendige Beschaffung von Medikamenten und medizinischen Geräten für die betroffenen Länder und müssen daher komplett aufgehoben werden.

Der Kipping-Riexinger-Entwurf will eine andere Partei und zielt auf eine Relativierung der friedenspolitischen Positionen. Wenn sich dies durchsetzen würde, wäre dies verheerend auch für Die Linke selbst. Alle diejenigen, denen die Existenz einer friedenspolitisch klar profilierten Linken nicht gleichgültig ist, sind aufgerufen, sich dieser Entkernung der Linken entgegenzustellen und auf grundlegende Änderungen des Wahlprogramms zu drängen.