Aufarbeitung eingefordert

Anhörung im Sozialausschuss des Bundestages: Linke-Fraktion beantragt Ende der »Kriegsopferzahlungen« für ehemalige SS-Angehörige

von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 27.01.2021)

 

Frühere Angehörige der SS werden in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten mit großzügigen Leistungen aus der Staatskasse belohnt. Mit dieser Praxis musste sich am Montag auf Druck der Fraktion von Die Linke der Sozialausschuss des Bundestages befassen. Sie fordert in einem Antrag, die Zahlungen zumindest für die SS-Freiwilligen einzustellen.

Damit greift sie eine Resolution des belgischen Parlaments auf, die vor knapp zwei Jahren von Abgeordneten fast aller Parteien unterstützt wurde (siehe jW vom 27.2.2019). Denn von den Leistungen, die nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) gewährt werden, profitieren auch Ausländer, die sich damals der Wehrmacht, Waffen-SS oder Polizeiverbänden angeschlossen hatten. Die belgischen Parlamentarier stellten fest, »dass der Bezug von Renten für die Kollaboration mit einem der mörderischsten Regime der Geschichte im Widerspruch zur Erinnerungsarbeit und zum Friedensprojekt der europäischen Einigung steht«. Sie fordern von der Bundesregierung, »die Rentenzahlungen an belgische Kollaborateure einzustellen« und der Bildung einer international besetzten Kommission von Wissenschaftlern zuzustimmen. Auch in anderen Ländern wird die deutsche Praxis kritisiert, in Frankreich ist vom »Geld der Schande« die Rede.

Nach Angaben der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion von Ende Dezember erhalten noch rund 45.000 Personen Leistungen als Kompensation für kriegs- oder gefangenschaftsbedingte Gesundheitsschäden. Dazu zählen auch Zivilisten, etwa Bombengeschädigte. Die Zahl ehemaliger SS-Angehöriger wird nicht gesondert ausgewiesen. Bekannt ist lediglich, dass von den zehn Empfängern in Belgien einer der Waffen-SS angehörte, in Frankreich sind es zwei. Die Höhe der Leistungen beträgt im Schnitt 502 Euro pro Monat für Berechtigte im Inland, 342 Euro monatlich im Ausland. Zum Vergleich: Ehemalige Zwangsarbeiter sind mit Einmalzahlungen von maximal 7.500 Euro abgespeist worden, für verfolgte Roma in Osteuropa gab es maximal 2.500 Euro – einmalig. Wer heute gesundheitliche Probleme aufgrund der Verfolgung durch die Nazis hat, kann allenfalls als Bittsteller auftreten, um von humanitären Programmen aus Deutschland zu profitieren – zeitlich befristet und ohne Rechtsanspruch.

Für die Bundesregierung ist das kein Problem. Sie verweist auf Anfragen gebetsmühlenartig auf die Einführung einer »Unwürdigkeitsklausel« im Gesetz, die nach 1998 dafür gesorgt habe, dass Leistungsempfänger bei erwiesenen »Verstößen gegen Grundsätze der Menschlichkeit« von den Leistungen ausgeschlossen worden seien. Bei näherem Hinsehen ist das aber nur ein schöner Schein: In der Anhörung verwies der Sachverständige Stefan Klemp darauf, dass von den damals knapp eine Million Leistungsempfängern lediglich 99 ausgesiebt worden seien. Fachleute hatten eine Zahl zwischen 10.000 und 50.000 erwartet.

In einem Forschungsbericht für das Bundesarbeitsministerium hatte Klemp schon vor vier Jahren das weitgehende Scheitern der »Unwürdigkeitsklausel« beschrieben. Es mangelte an der Digitalisierung von Akten, und die beteiligten Behörden waren heillos überfordert. Praktisch wurde von Mitarbeitern der Versorgungsbehörden fachhistorisches Wissen verlangt, das diese nicht hatten. Auch Sozialgerichte legten die gesetzlichen Bestimmungen höchst unterschiedlich aus.

Viele Behörden stellten nur darauf ab, ob die Betroffenen wegen Naziverbrechen verurteilt waren – wie nachsichtig die westdeutsche Justiz in dieser Hinsicht war, dürfte bekannt sein. Klemp geht davon aus, dass statt der 99 mindestens 7.500 Täter hätten ausgeschlossen werden müssen. Im Ergebnis hätten aber selbst KZ-Aufseher und Angehörige von Polizeibataillonen, die an Mordaktionen gegen Zivilisten beteiligt waren, weiterhin Leistungen bezogen. Klemp schilderte am Montag im Bundestag exemplarisch den Fall des SS-Rottenführers Willi H., der unter anderem im KZ Majdanek Dienst geschoben hatte. Nach dem Krieg saß er in polnischer Polizeihaft – in der BRD wurde ihm das als Kriegsgefangenschaft angerechnet. Ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wurde im Jahr 2000 eingestellt. Seine Funktionen in verschiedenen Konzentrationslagern begründeten keinen Ausschluss von den Kriegsopferleistungen, hieß es abschließend.

Nachdem der Bundesgerichtshof 2008 im Verfahren gegen den KZ-Aufseher John Demjanjuk schon die Übernahme eines Wachdienstes im KZ als Beihilfe zum Mord kennzeichnete, wäre eine weitere Überprüfung der Empfänger von BVG-Zahlungen möglich gewesen – sie scheiterte am politischen Willen der Behörden. Während in der Anhörung am Montag strittig war, inwiefern ein pauschaler Leistungsausschluss für alle SS-Freiwilligen rechtlich möglich wäre – angesichts der geringen Zahlen eher eine symbolische Forderung –, wurde der Ruf nach wissenschaftlicher Aufarbeitung von allen Sachverständigen unterstützt. Zu untersuchen seien sowohl die Praxis der Leistungsgewährung als auch der »Unwürdigkeitsklausel«. Ein Teil der hierfür notwendigen Akten ist bereits vernichtet worden – um so dringender forderte Klemp, die noch vorhandenen dauerhaft zu sichern.