Flüchtlingspolitik der EU
Kommentar von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 08.07.2020)
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) kritisiert die Europäische Union für ihren »beschämenden« Umgang mit der Seenotrettung. Es gehöre zur »Wertegemeinschaft« EU, »dass man Menschen vor dem Tod rettet«, so Seehofer vor Beginn der Videokonferenz der EU-Innenminister am Dienstag.
Die EU zeigt mit brutaler Regelmäßigkeit, was ihre angebliche Wertegemeinschaft ausmacht. Wann immer Flüchtlinge versuchen anzulanden, werden die Häfen geschlossen, und dann geht das Gefeilsche los, wohin sie gebracht werden. Das Rettungsschiff »Ocean Viking« durfte seine Passagiere erst gestern an Land bringen, nachdem es über eine Woche vor Italien lag und die humanitäre Krise an Bord zu mehreren Suizidversuchen geführt hatte. Seit vergangenem Freitag harren vor der maltesischen Küste 53 Flüchtlinge auf einem Viehfrachter aus, der sie aus Seenot gerettet hatte. Wegen schlechten Wetters sind sie unter Deck untergebracht, in nicht gereinigten Viehställen. Werte à la EU.
Ausgerechnet Seehofer mimt jetzt den Fürsprecher der Seenotrettung und verweist darauf, es gehe dabei nur um einen »verschwindend kleinen« Teil von Flüchtlingen. Na klar, denn der größere Teil wird ja aufgrund der EU-Abschottungspolitik, die der Innenminister nach Kräften mitgestaltet, ferngehalten oder ertrinkt im Mittelmeer. Vor zwei Jahren hat die EU ihren Einsatz dort neu aufgestellt, sie erschöpft sich seither in »Schleuserbekämpfung« mittels Flugzeugen. Schiffe werden seit 2019 nicht mehr eingesetzt, damit sie gar nicht erst in die Situation kommen, Flüchtlingen Schutz bieten zu müssen. So bleibt nur die kriminelle libysche »Küstenwache«, die Flüchtlinge nicht rettet, sondern sie in Folterlager verfrachtet, und eine Handvoll Rettungsschiffe privater Organisationen, die von Libyen und den EU-Staaten nach Kräften schikaniert werden, deren Besatzungen ständig damit rechnen müssen, wegen »Beihilfe zu illegaler Einreise« vor Gericht gestellt zu werden. Dieselbe Bundesregierung, der auch Seehofer angehört, hat den deutschen Rettungsorganisationen kürzlich durch eine Änderung der Schiffssicherheitsverordnung Auflagen erteilt, die sie praktisch am Auslaufen hindern. Seehofer hat wiederholt erklärt, er wolle einen »Taxidienst« im Mittelmeer verhindern – menschenverachtender kann man die Situation derjenigen, die auf dem Meer um ihr Leben kämpfen, kaum beschönigen.
Seehofer macht sich übrigens auch dafür stark, die Polizeien und Küstenwachen der nordafrikanischen Mittelmeeranrainer auszurüsten, damit sie dafür sorgen, dass keine Flüchtlinge mehr Richtung Europa ablegen. Vorschläge, die tatsächlich von einer »Wertegemeinschaft« zeugen würden – etwa die Schaffung eines sicheren Fluchtkorridors oder zumindest eine großangelegte zivile Rettungsmission –, sind weder von Seehofer noch vom Rest der EU zu erwarten.