Im Zuge der Coronapandemie wärmen Unionspolitiker die Forderung nach militärischen Inlandseinsätzen wieder auf. Bundeswehr ist marschbereit
von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 06.04.2020)
Noch beschränken sich die Tätigkeiten der Bundeswehr in Zusammenhang mit der Coronakrise auf einfache Amtshilfe, ohne hoheitliche Aufgaben wahrzunehmen. Die Rufe nach repressiven Einsätzen des Militärs im Inland reißen aber nicht ab, und die Bundeswehr bereitet sich bereits auf ein derartiges Vorgehen vor.
Nach Angaben der für Logistik zuständigen Streitkräftebasis lagen dort mit Stand von Ende vergangener Woche 280 Anträge auf Amtshilfe aus Ländern und Kommunen vor. In der Regel wird nach Ärzten, Pflegekräften, medizinischer Ausrüstung oder Transportkapazitäten gefragt. »Öfter als es ihm lieb ist«, heißt es in einer Pressemitteilung des Kommandos, müsse es Anträge ablehnen, entweder aufgrund mangelnder Ressourcen oder rechtlicher Probleme. Dass es bereits in einem so frühen Stadium der Pandemie eine solch starke Nachfrage nach Unterstützung durch die Bundeswehr gibt, ist ein deutliches Indiz für die desolate Situation des Gesundheitssystems. Die Hoffnungen auf das Militär dürften sich indes nur selten erfüllen: Der Sanitätsdienst der Bundeswehr klagt selbst über schwerwiegende Ausrüstungsmängel.
Vor allem Unionspolitiker sehen in der Coronakrise aber eine Chance, die von ihnen schon seit Jahrzehnten geforderte Änderung des Grundgesetzes endlich durchzusetzen, um mehr Inlandseinsätze zu ermöglichen. Der Chef des Reservistenverbandes und CDU-Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg etwa plädiert für eine »Klarstellung« im Grundgesetz, dass die Bundeswehr auch im Fall von Pandemien militärisch eingesetzt werden könne. Darüber hinaus sei eine Debatte zur »Anpassung des Grundgesetzes« nötig, so Sensburg im Interview mit der Welt (24.3.2020), der dabei etwa den Schutz der »Versorgung des Supermarkts um die Ecke oder von Lkw-Fahrern auf der Autobahn« im Blick hat.
Vergangene Woche hat die Bundeswehr, wie zuerst der Spiegel (27.3.2020) berichtete, einen Einsatzplan zur Mobilisierung von 15.000 Soldaten aufgestellt. Davon sollen 6.000 Soldaten zur »Unterstützung der Bevölkerung« dienen, sowie 250 für Desinfektionsaufgaben. 600 Feldjäger sind für »Ordnungs-/Verkehrsdienst« vorgesehen sowie 5.500 Soldaten für den Bereich »Absicherung/Schutz«. Zu den Aufgaben der Bundeswehr zählt der Plan außerdem die Möglichkeit von »Massenunterbringung« zum Beispiel in Containern, auch zur Quarantäne von Infizierten. Weiterhin kommen »Raum- und Objektschutz, Schutz kritischer Infrastrukturen, Unterstützung von Ordnungsdiensten« dazu. Kritische Infrastrukturen ist die Umschreibung für sämtliche »systemrelevanten« Einrichtungen wie Kraftwerke, wichtige Industrieanlagen, Verkehrsrouten usw. Das sind Aufgaben, die nicht in das Spektrum »helfender Hände« fallen, sondern die Bereitschaft zur Anwendung bewaffneter Gewalt beinhalten. »Der Einsatz spezifisch militärischer Waffen« sei denn auch »auf Weisung der Bundesministerin zulässig«, zitiert der militärnahe Blog »Augengeradeaus«. Die Informationsstelle Militarisierung (IMI) weist in einer aktuellen Analyse darauf hin, die Führung dieses Einsatzes liege nicht, wie bislang bei Katastrophenhilfe üblich, bei den Strukturen der zivil-militärischen Zusammenarbeit, sondern bei den Kampftruppen der Bundeswehr.
Tatsächlich versuchen einzelne Behörden bereits, solche bewaffneten Einsätze anzufordern. Der Spiegel berichtet über ein bayerisches Landratsamt, das zehn Bundeswehr-Soldaten für den Schutz eines Lagers des Technischen Hilfswerks haben möchte. Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) hat gegenüber der Schwäbischen Zeitung bestätigt, er prüfe, die Bundeswehr für den Schutz von »Objekten« einzusetzen, etwa um vor polizeilichen Einrichtungen Ein- und Auslasskontrollen vorzunehmen. Strobl verwies darauf, dass derzeit fast ein Zehntel der 34.000 Mitarbeiter der Polizei im Land coronabedingt ausfalle und er für den »Ernstfall« prüfe, wer helfen könne. Einen formellen Amtshilfeantrag hat das Land allerdings noch nicht gestellt. Kritik kam hier unter anderem von der FDP, deren Fraktionschef im baden-württembergischen Landtag äußerte, Strobl versuche offenbar, »die Coronakrise zu nutzen, um seinen alten Traum zu verwirklichen, die Bundeswehr auch im Innern einzusetzen« (Schwäbische Zeitung, 26.3.2020).