UN-Menschenrechtsbüro warnt vor libyscher Küstenwache. Berlin und Brüssel setzen weiter darauf, Flüchtlinge in Nordafrika festzusetzen
von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 21.12.2019)
Während die EU weiterhin darauf setzt, Flüchtlinge an der Überfahrt von Libyen nach Europa abzuhalten und die sogenannte libysche Küstenwache ausbildet, äußert die UN-Menschenrechtskommission harte Kritik an dieser Praxis. Man sei »besorgt über die sich verschlechternde Menschenrechtslage in Libyen«, teilte ein Sprecher des Hohen Kommissars für Menschenrechte am Freitag in Genf mit. Flüchtlinge und Migranten würden seit Jahren vielfachen Formen von Gewalt ausgesetzt, angefangen von Zwangsarbeit und willkürlicher Inhaftierung über körperliche Misshandlungen und Folter bis hin zu ungesetzlichen Tötungen und »Verschwindenlassen«. Zu den Verbrechern gehörten laut UN auch Beamte der »Einheitsregierung«.
Auch die Bundesregierung äußerte sich am Freitag zu Libyen – in Beantwortung einer kleinen Anfrage der Linksfraktion. Der Tenor unterscheidet sich deutlich von dem der Vereinten Nationen. So verkündet die Bundesregierung zweckoptimistisch, Libyen habe ja die Antifolterkonvention der UNO unterzeichnet, und deren Bestimmungen gälten »ungeachtet des aktuellen Konflikts«. Außerdem setze sie sich »in Gesprächen mit der libyschen Regierung für eine menschenwürdige Behandlung von Flüchtlingen« ein. An der Ausbildung der libyschen Küstenwache halte man fest, das sei langfristig ein Beitrag zur Stabilisierung des Landes. Sie habe schließlich in diesem Jahr bereits über 8.300 Flüchtlinge »aus Seenot gerettet oder aufgegriffen«. Die UN hingegen vermeiden in Hinsicht auf diese Küstenwache die Vokabel »retten« und sprechen ausschließlich vom »Abfangen« von Flüchtlingen, von denen anschließend viele umgehend in offizielle oder »private« Gefängnisse verfrachtet und dort den erwähnten Misshandlungen ausgesetzt würden. Ihre Registrierung durch UN-Behörden gelinge nur teilweise und sei auch kein Schutz vor Inhaftierung. Unmissverständlich lehnen die UN-Menschenrechtler die Rückführungen nach Libyen ab, weil das Land »beim besten Willen nicht als sicherer Hafen« betrachtet werden könne.
Ein vom UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) eingerichtetes Notaufnahmelager in Tripolis ist völlig überlaufen. Das Zentrum war gedacht für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge, wie Kranke und Kinder, deren Evakuierung in andere afrikanische Staaten oder nach Europa und Nordamerika vorbereitet werden soll. In den letzten Wochen wurden Hunderte Menschen aus zerstörten oder aufgelösten Haftanstalten dorthin gebracht, so dass sich derzeit 1.200 Menschen darin aufhalten. Es ist aber nur für 600 Personen angelegt. Generell sind die Chancen, aus Libyen evakuiert zu werden, äußerst bescheiden: Weniger als ein Prozent der vom UNHCR als besonders schutzbedürftig eingestuften Flüchtlinge erhalten jährlich einen Platz in einem sogenannten Resettlement-Programm. Während über die Zahl von Schutzsuchenden, die in »irregulären« Anstalten festgehalten werden, nichts bekannt ist, halten sich derzeit nach Angaben der Bundesregierung 4.400 Flüchtlinge in »offiziellen« Gefängnissen auf. Der Bundesregierung zufolge ist keine Änderung dieser Praxis in Sicht.
Die Finanzierung der Küstenwache durch die EU erweist sich somit als Maßnahme der Flüchtlingsabwehr, die Folter und Tod ganz bewusst in Kauf nimmt, zumal private Seenotretter systematisch behindert werden. Dennoch hat das Rettungsschiff »Ocean Viking« am Freitag wieder 112 Migranten vor der Küste Libyens aus einem Schlauchboot gerettet.