Von Lausanne bis Nabucco:
Auf der „Friedenskonferenz“ von Lausanne wurden 1923 die kurdischen Siedlungsgebiete des ehemaligen Osmanischen Reiches von den Siegermächten des Ersten Weltkrieges auf die vier Staaten Türkei, Irak, Iran und Syrien aufgeteilt. Kurdistan wurde zu einer internationalen Kolonie, wie der türkische Sozialwissenschaftler İsmail Beşikçi schrieb. In der kurdischen Osttürkei befindet sich heute strategische militärische Infrastruktur für NATO-Operationen im Nahen Osten und Zentralasien wie Flughäfen und Spionageposten entlang der syrischen, irakischen und iranischen Grenze. Die geostrategische Bedeutung Kurdistans liegt auch in Energiequellen wie Wasser und Öl sowie den über kurdisches Siedlungsgebiet verlaufenden Pipelines aus dem Kaukasus und dem Irak wie der jetzt beschlossenen Nabucco-Gaspipeline. Die Folge ist eine massive Militarisierung der ganzen Region und die Unterdrückung der demokratischen Rechte der dort lebenden Menschen.
Türkei:
In der Türkei setzte bereits in den 20er Jahren eine radikale Zwangsassimilation der kurdischen Bevölkerung ein. Die kurdische Sprache wurde lange Zeit völlig verboten, Kurden nur noch als „Bergtürken“ bezeichnet und ihre Aufstände blutig niedergeschlagen. Gegen diese Unterdrückung begann die Arbeiterpartei Kurdistans PKK ab 1984 einen Guerillakampf für ein unabhängiges sozialistisches Kurdistan. Als die PKK ab 1990 Massenzulauf bekam, bildeten sich auch zivilgesellschaftliche Organisationen wie Menschenrechtsvereine und legale, aber immer wieder verbotene prokurdische Parteien. Die türkische Armee reagierte mit einer Verschärfung des Krieges durch systematische Dorfzerstörungen und die Ermordung Tausender Zivilisten durch Todesschwadronen. Gewählte Abgeordnete wie Leyla Zana wurden aus dem Parlament heraus verhaftet. 1999 gelang verschiedenen Geheimdiensten die Verschleppung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan in die Türkei, wo er bis heute auf der Gefängnisinsel Imrali gefangen ist. Öcalan und die PKK fordern keinen eigenen Staat mehr, sondern eine demokratische Türkei, in der die kurdische Identität in einer neuen Verfassung anerkannt wird und die kurdischen Provinzen eine weitergehende Selbstverwaltung erhalten. Seit 2007 setzt sich eine 20-köpfige Fraktion der linken kurdischen Partei für eine Demokratische Gesellschaft DTP im türkischen Parlament für eine solche politische Lösung des Konflikts ein. Bei den Kommunalwahlen im März 2009 wurde die DTP zur führenden Kraft in den kurdischen Landesteilen, wo sie die Zahl ihrer Bürgermeisterinnen und Bürgermeister auf nahezu Hundert verdoppeln konnte. Gegen die DTP läuft ein Verbotsverfahren, weil sich die Partei weigert, die PKK als „terroristisch“ zu verurteilen. Hunderte ihrer Mitglieder wurden allein seit den Kommunalwahlen verhaftet und zum Teil gefoltert. Im Frühjahr 2009 benannte selbst der islamisch-konservative türkische Staatspräsident Abdullah Gül die kurdische Frage als größtes Problem der Türkei, das gelöst werden müsse. Doch die Operationen der türkischen Armee und die grenzüberschreitenden Luftangriffe auf Dörfer im kurdischen Nordirak gehen weiter. Der 25-jährige Krieg kostete bis heute über 40.000 Menschenleben.
Syrien, Irak, Iran:
Auch in den anderen Teilen Kurdistans wurden Kurdinnen und Kurden oft grausam bekämpft. So zögerte das irakische Baath-Regime 1988 nicht, Giftgas gegen die Zivilbevölkerung in der Stadt Halabja einzusetzen. Die Technik zur Herstellung von Gaswaffen hatten vor allem deutsche Firmen geliefert. Eine Entschädigung der Opfer dieser Kriegsverbrechen wurde von der Bundesregierung bis heute abgelehnt, keiner der „Händler des Todes“ wurde in Deutschland verurteilt. Nach dem Sturz Saddam Husseins durch den Einmarsch der USA in den Irak wurden 2003 drei Provinzen des Nordirak zur autonomen Region Kurdistan ernannt. Ungeklärt ist, ob die auch von Arabern und Turkmenen beanspruchte Erdölstadt Kirkuk zur kurdischen Region kommen soll. Hier liegt bereits der Keim zukünftiger blutiger Auseinandersetzungen. In Syrien wurden Hunderttausende Kurden seit den 60er Jahren zu Staatenlosen erklärt. Trotz massiver Menschenrechtsverletzungen durch syrische Sicherheitsdienste hat die Bundesregierung 2008 ein Rückführungsabkommen mit der syrischen Regierung abgeschlossen. Damit droht Tausenden zumeist kurdischen Flüchtlingen die Abschiebung. Im Iran, wo rund acht Millionen Kurden leben, wurde in den letzten Jahren rund ein Dutzend kurdischer Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und Frauenrechtsaktivistinnen als „Feinde Gottes“ zum Tode verurteilt.
Deutsch-türkische Waffenbrüderschaft:
Seit dem Bau der Bagdadbahn vor über 100 Jahren bestehen engste politische und wirtschaftliche Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei. Im Rahmen der NATO rüstete die Bundesrepublik die türkische Armee während des Kalten Krieges massiv auf. Als sich die türkische Armee am 12. September 1980 zum dritten Mal an die Macht putschte, gaben ihr 1000 Fallschirmjäger der Bundeswehr Rückendeckung, die damals an einem NATO-Manöver in der Osttürkei teilnahmen. Angehörige türkischer Konterguerillaeinheiten, die für Folterungen und Morde an zahlreichen linken und kurdischen Aktivisten verantwortlich sind, wurden von GSG9 und Bundeswehr in Deutschland ausgebildet. Anfang der 90er Jahre überließ die Bundeswehr der türkischen Armee Tausende Panzer und andere Waffen aus ehemaligen NVA-Beständen, die bei der Zerstörung von rund 4000 kurdischen Dörfern zum Einsatz kamen. Bis heute ist die Türkei wichtigster Abnehmer deutscher Waffensysteme. So wurden 2008 rund 300 Leopard II-Panzer ausgeliefert, deren Verkauf noch unter der SPD-Grünen-Regierung vereinbart worden war.
Grenzüberschreitende Kurdenverfolgung:
Schon Ende der 80er Jahre wurde mit einem Mammutprozess gegen 20 kurdische Politiker vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht versucht, die gesamte PKK gestützt auf obskure Kronzeugenaussagen als terroristische Vereinigung zu brandmarken. Nachdem dies scheiterte, verbot das Bundesinnenministerium im November 1993 die PKK und weitere kurdische Vereinigungen. Als Vorwand dienten die zum Teil militanten Proteste von kurdischen Migranten gegen die Bombardierung ganzer Städte durch die türkische Armee. Seitdem wurden in den letzten 16 Jahren hunderte Vereine und Wohnungen von der Polizei durchsucht, zahlreiche Demonstrationen und Veranstaltungen verboten und Tausende Kurdinnen und Kurden wegen ihrer Solidarisierung mit dem Freiheitskampf zu Geld oder Haftstrafen verurteilt. Bis heute werden angebliche PKK-Funktionäre wegen „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ (§129 StGB) verurteilt, ohne dass ihnen außer der Unterstützung der PKK konkrete Straf- oder Gewalttaten nachzuweisen sind. 2008 verbot das Bundesinnenministerium auch den aus Dänemark sendenden Satellitensender Roj TV, der mit seinen Nachrichten-, Kultur-, und Kinderprogrammen in kurdischer, türkischer und arabischer Sprache für viele der hier lebenden kurdischstämmigen Migranten eine wichtige Informationsquelle ist. Die EU hat die PKK auf ihre Terrorliste aufgenommen.
Lösungsperspektiven:
Die LINKE unterstützt alle Initiativen für eine demokratische Lösung der kurdischen Frage. Daher fordert sie einen sofortigen Stopp der Waffenlieferungen an die Türkei und einen Abschiebestopp in die Türkei, den Irak, Iran und Syrien sowie gesichertes Aufenthaltsrecht für die hier lebenden Flüchtlinge. In Deutschland muss die eigenständige kurdische Sprache und Kultur mit allen notwendigen Folgen für eine gezielte Integrationspolitik der kurdischen Bevölkerungsgruppe anerkannt werden. Dazu gehört das Angebot von Kurdischunterricht an Schulen ebenso wie kurdischsprachige Mitarbeiter bei staatlichen und kommunalen Behörden. Kurdische Vereine müssen in gleichem Masse Zugang zu öffentlichen Fördermitteln erhalten wie andere migrantische Selbstorganisationen. Insbesondere muss die Kriminalisierung politisch aktiver Kurdinnen und Kurden in Deutschland beendet werden. Zahlreiche Kurdinnen und Kurden sind heute bereits wie andere Migrantinnen und Migranten innerhalb der Partei DIE LINKE aktiv –für Frieden in Kurdistan ebenso wie für soziale Gerechtigkeit und demokratische Grundrechte für alle in Deutschland lebenden Menschen.