Am heutigen Donnerstag tritt zum zweiten Mal die sogenannte große Runde bei den Koalitionsverhandlungen von CDU/CSU und FDP mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bayerns Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) und FDP-Chef Guido Westerwelle zusammen. Ende nächster Woche treffen sich die Spitzenpolitiker dieser Parteien zu einer Klausur, um die »schwarz-gelbe« Koalition voranzubringen.
Größter Streitpunkt ist der Bereich der Innen- und Rechtspolitik. Unter Leitung von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und der früheren (und möglicherweise künftigen) Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) verhandelte die entsprechende Arbeitsgruppe am Dienstag bis spät am Abend. Strittige Themen gibt es etliche. So hat die FDP in der Opposition die meisten sogenannten Sicherheitsgesetze von Schäuble als bürgerrechtsfeindlich abgelehnt und muß nun zeigen, wie ernst es ihr damit ist. Auf ihrer Streichliste stehen beispielsweise der »große Lauschangriff« (Abhören von Gesprächen in Wohnungen) und die Internet-Zugangssperren, die Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) am Ende der letzten Wahlperiode durchgesetzt hat. Die Liberalen sprachen damals vom Einstieg in die Internetzensur. Auch die Neuregelung von Zuständigkeiten und Befugnissen des Bundeskriminalamtes im BKA-Gesetz steht zur Diskussion. Der hessische FDP-Vorsitzende und Justizminister Jörg-Uwe Hahn sagte: »Wir wollen nicht, daß es Angriffe auf Privat-PC gibt«. Das BKA-Gesetz sieht aber neben der Onlinedurchsuchung auch die heimliche Videoüberwachung von Wohnungen vor. Die FDP hat im Wahlkampf kritisiert, daß der Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht ausreichend geschützt sei und der Schutz der Berufsgeheimnisse von Anwälten, Ärzten und Journalisten mißachtet wird.
Doch die Union signalisiert keinerlei Kompromißbereitschaft. Ihr Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) hat vorweg erklärt, man könne innere Sicherheit nicht mit der »Steinschleuder« gewährleisten. Insbesondere am BKA-Gesetz will er nicht rütteln lassen. Auch bei der sogenannten Vorratsdatenspeicherung wird die CDU/CSU kaum von ihrer harten Haltung abgehen.
Die Ankündigung des FDP-Politikers Hahn: »Wir möchten das System wieder umdrehen«, droht damit rasch als großmäulig entlarvt zu werden. Denn Hahn machte zugleich klar, daß die Liberalen nicht auf ihre Machtbeteiligung verzichten wollen. »Jeder von uns weiß, daß wir gemeinsam eine Bundesregierung von Union und FDP bilden wollen.« Herauskommen könnte das Einfrieren des Status quo: Die FDP akzeptiert die Überwachungsgesetze in der jetzigen Form, die Union verzichtet dafür vorerst auf ihre Pläne für den Bundeswehreinsatz im Inland.
Mehr Einigkeit besteht darin, daß der Arbeitnehmerdatenschutz neu geregelt werden muß. Ob sich dagegen für Migranten und Flüchtlinge irgend etwas zum Besseren wendet, darf bezweifelt werden. Eine wirksame Bleiberechtsregelung wäre ebenso dringend erforderlich wie beispielsweise die Aufhebung der Residenzpflicht für Asylbewerber oder ein Stopp der Abschiebungen nach Griechenland. Schließlich müßte die »EU-Grenzagentur« Frontex, ein Instrument der inhumanen Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen, aufgelöst werden. Mit entscheidenden Veränderungen ist bei der restriktiven Grundlinie der CDU/CSU und dem Machthunger der FDP jedoch nicht zu rechnen.
erschienen in junge Welt 8.10.09