Die Innenminister haben beschlossen, dass „geduldete“ Flüchtlinge weiterhin in Deutschland bleiben sollen und ihre Duldungen für weitere zwei Jahre verlängert werden. Das bedeutet, sie werden zwar weiterhin „geduldet“ aber nicht anerkannt. Dies ist für die meisten ein unerträglicher Zustand. Warum sucht niemand nach einer richtigen und menschlichen Lösung?
Jelpke :Die Innenminister haben beschlossen, dass eine andere Regelung verlängert wird, die diesen Menschen eine so genannte Aufenthaltserlaubnis auf Probe gebracht hat. Wer irgendeine Art von Arbeit nachweisen kann, dessen „Probe-Aufenthaltserlaubnis“ wird verlängert; aber einige Menschen haben keine Chance auf Arbeit, sie werden dann nur noch geduldet oder abgeschoben. Die rechten Innenminister argumentieren damit, dass es keine „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ geben soll. Das ist reiner Rassismus. Alle Ausländer und Flüchtlinge werden als Sozialschmarotzer dargestellt, die sich nicht integrieren wollen. Leider teilen viele Menschen diese Ansicht.
Die Innenminister sprechen von ca. 30.000 „geduldeten“ Flüchtlingen. Stimmt diese Zahl nach Ihrer Schätzung oder sind es mehr? Woher kommt der überwiegende Teil dieser Flüchtlinge?
Jelpke : Diese Zahlen erfrage ich ja immer wieder von der Bundesregierung, es gibt eigentlich keinen Grund daran zu zweifeln. Die meisten dieser Flüchtlinge kommen aus den Staaten des ehemaligen Jugoslawien und sind schon in den 90er Jahren nach Deutschland gekommen. Außerdem kommt noch eine Reihe von ihnen aus der Türkei und anderen Staaten des Nahen Ostens wie dem Libanon.
Die schwarz-gelbe Regierung hat vor, mehrere Tausend Flüchtlinge in ihre Heimatländer abzuschieben. Wissen Sie, wie viele Kurden – z.B. aus dem Irak oder aus Syrien – dieser Gefahr ausgesetzt sind?
Jelpke : Wir wissen, dass ca. 7.000 Menschen aus Syrien akut von einer Abschiebung bedroht sind, weil mit Syrien ein so genanntes „Rückübernahmeabkommen“ geschlossen wurde. Darin hat sich Syrien verpflichtet, alle aufzunehmen, bei denen es irgendeinen Hinweis auf eine syrische Herkunft gibt. Wie viele Kurden darunter sind, wissen wir aber nicht, weil in Deutschland die Volkszugehörigkeit in den Statistiken nicht erfasst wird. Immer wieder werden auch Kurden aus der Türkei oder dem Irak abgeschoben, aber ihre Zahl ist nicht so hoch.
Noch immer besteht in Deutschland das PKK-Verbot. Darunter leiden Hunderte von kurdischen Kulturvereinen und mehrere Tausend Kurden in Deutschland. Ihre Einbürgerungen werden abgelehnt, weil sie irgendwann Kontakt oder Sympathien mit der PKK oder einer ihrer „Tarnorganisationen“ hatten. Demonstrationen oder kulturelle Veranstaltungen werden verboten. Wohnungen oder Geschäftsräume werden bei PKK-Verdacht von Spezialeinheiten durchsucht. Ist dieses Verbot und sind diese Maßnahmen nicht ein gravierender Eingriff in die Menschenrechte? Bereits seit langer Zeit verspricht Ihre Partei, etwas gegen das PKK-Verbot zu unternehmen. Wird dies in dieser Wahlperiode nun endlich verwirklicht?
Jelpke : Ich bin völlig Ihrer Meinung, dass das PKK-Verbot die Grundrechte von Tausenden Kurdinnen und Kurden verletzt und endlich aufgehoben werden muss. Es muss den hier lebenden Kurdinnen und Kurden möglich sein, sich für ihre Interessen in Deutschland ebenso wie für einen gerechten Frieden in Kurdistan einzusetzen, ohne deswegen als Kriminelle oder Terroristen verfolgt zu werden. Die PDS hat sich seit dem PKK-Verbot 1993 immer gegen die politische Verfolgung von Kurdinnen und Kurden in Deutschland gestellt. Durch die Gründung der neuen Partei DIE LINKE sind dann eine ganze Reihe Politikerinnen und Politiker zu uns gestoßen, die vorher als SPD-Mitglieder das PKK-Verbot aktiv mit getragen haben oder es zumindest nicht in Frage stellten. Von daher gehen die Meinungen innerhalb der Partei DIE LINKE in dieser Fragte durchaus auseinander. Dazu kommt eine gewisse Angst einiger Genossinnen und Genossen, dass uns die bürgerliche Presse gleich wieder als Terrorunterstützter angreift, wenn wir uns gegen das PKK-Verbot stark machen. Das Grundproblem ist dabei die schlechte Informiertheit vieler Genossinnen und Genossen über die Situation in Kurdistan und die Anliegen der Kurdinnen und Kurden. Viele glauben immer noch, die PKK strebe einen unabhängigen Staat an. Leider ist es den in Deutschland politisch aktiven Kurdinnen und Kurden – auch denen innerhalb der LINKEN – bislang nicht ausreichend gelungen, die aktuellen Ziele der kurdischen Freiheitsbewegung und die laufenden Debatten über Basisdemokratie und Frauenbefreiung deutlich zu machen.
Der türkische Staat hat die kurdische Partei DTP verboten. Wie wird sich, Ihrer Einschätzung nach, das Verbot politisch im Hinblick auf die Situation der Kurdinnen und Kurden in Deutschland auswirken?
Jelpke : Die DTP wurde mit der gleichen Logik verboten, mit der seit dem PKK-Verbot in Deutschland Dutzende kurdische Kulturvereine und hunderte Demonstrationen und Kundgebungen verboten wurden. Wer sich mit dem Befreiungskampf in Kurdistan identifiziert, gilt automatisch als PKKler und damit als Krimineller oder Terrorist, ohne dass nach den jeweiligen politischen Zielen gefragt wird. Es ist zu befürchten, dass das DTP-Verbot in der Türkei zu einer weiteren Isolation kurdischer Organisationen auch in Deutschland führen wird. Denn einmal mehr wurde in der Öffentlichkeit suggeriert, dass alle Kurden Terroristen seien – selbst wenn sie im Parlament mitarbeiten. Um so wichtiger ist es, dass sich die kurdischen Vereine und ihre Mitglieder verstärkt nicht nur für kurdische Anliegen engagieren, sondern im Rahmen der fortschrittlichen, demokratischen Kräften, der Gewerkschaften und der Friedensbewegung in Deutschland gegen Krieg und Neoliberalismus aktiv werden.
Für die Partei DIE LINKE waren die Politiker der DTP ein Ansprechpartner für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage. Ich hoffe, dass es bald eine neue Partei, mit der wir diese Beziehungen wieder aufnehmen können.
Das interview führte Reşad Özkan,
Korrespondent der kurdischen Wochenzeitung Rûdaw/
Veröffentlicht in der Printausgabe/Nr. 25/ Internet:www.rudaw.net