Das Bundesverfassungsgericht hat mit einem Grundsatzurteil den Datenschutz erheblich gestärkt und die sogenannte Vorratsdatenspeicherung in der bisherigen Form für nichtig erklärt. Damit hat die Verfassungsbeschwerde mit den meisten Unterzeichnern in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Erfolg.
Mehr als 30000 Bürgerinnen und Bürger hatten in Karlsruhe dagegen geklagt, daß die Telefon- und Internetverbindungsdaten von Millionen Unverdächtigen sechs Monate lang gespeichert werden, um sie für Zwecke der Strafverfolgung sowie für die Geheimdienste vorzuhalten. Dieser Praxis hat das höchste deutsche Gericht wegen Verstoßes gegen Artikel10 Grundgesetz (Fernmeldegeheimnis) jetzt ein Ende bereitet. Allerdings entschloß sich das Gericht nicht zu einer Weitergabe der Streitsache an den Europäischen Gerichtshof, so daß die zugrunde liegende EU-Richtlinie vorerst unangetastet bleibt.
Das vom scheidenden Verfassungsgerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier (CSU) verkündete Urteil ist eine schallende Ohrfeige für die frühere CDU/CSU-SPD-Bundesregierung. Unter Federführung von Exbundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) hatte die große Koalition 2008 eine EU-Richtlinie in einer Weise umgesetzt, die nach Auffassung der Karlsruher Richter als zu tiefer Eingriff in die Privatsphäre verfassungswidrig war. Damit setzte das Gericht zum wiederholten Male – wie auch schon früher bei seinen Entscheidungen zur heimlichen Onlinedurchsuchung oder zu den ausufernden Rasterfahndungen – dem Marsch in den Überwachungsstaat Hindernisse entgegen.
In die Freude der Kläger mischt sich allerdings ein Wermutstropfen, denn das Gericht sah die Vorratssicherung der Daten nicht als prinzipiell unzulässig an. Ihre Verwendung zur Abwehr oder Verfolgung schwerer, konkret benannter Straftaten etwa für Leib und Leben sei legal, die konkrete Umsetzung im angegriffenen Gesetz jedoch nicht. Denn diesem fehle es an der notwendigen Begrenzung der Verwendungszwecke. Weiter monierten die Richter die mangelnde Verhältnismäßigkeit und die zu geringen Rechtsschutzanforderungen. Datenübermittlungen müßten von einem Richter angeordnet werden, die Betroffenen seien darüber zu informieren, unter Umständen auch nachträglich, und eine richterliche Kontrolle müsse jederzeit möglich sein, forderte das Gericht.
Die bestehende Regelung genüge diesen Anforderungen nicht und sei »insgesamt verfassungswidrig und nichtig«, heißt es wörtlich in der Entscheidung. Die bisher gespeicherten Dateien seien »unverzüglich zu löschen«. Zudem stellte das Gericht klar, daß seine Entscheidung nicht als Einstieg für »eine möglichst flächendeckende vorsorgliche Speicherung« aller möglichen Daten verstanden werden dürfe. Solche verdachtslosen Erhebungen müßten Ausnahmen bleiben, bei weiteren Datensammlungen sei der Gesetzgeber »zu größerer Zurückhaltung« verpflichtet.
Damit haben die Kläger, darunter prominente frühere Minister wie Gerhart Baum und Burkhard Hirsch (beide FDP) sowie Bürgerrechtler wie Rolf Gössner und viele Vertreter des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, die Hauptziele ihrer Verfassungsklage erreicht. Schon bahnt sich ein Koalitionsstreit an: Während Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) aufforderte, schnellstmöglich ein neues Gesetz zu entwerfen, begrüßte diese das Urteil und warnte vor »Schnellschüssen«. Die heutige Ministerin gehörte selbst zu den Klägern.
Der Linken-Rechtspolitiker Wolfgang Neskovic zeigte sich unzufrieden damit, daß das Gericht es nicht gewagt habe, den Konflikt mit der EU-Richtlinie aufzunehmen. Allerdings kommt diese dennoch ins Wackeln: Die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Viviane Reding, stellte zur Debatte, auf die Vorratsdatenspeicherung ganz zu verzichten, wenn sie in den Mitgliedsstaaten nur eingeschränkt angewendet werden könne.
Genau dies verlangte bereits der Bremer Rechtsanwalt und Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Rolf Gössner. Er betonte, die Politik sei gefordert, die EU-Vorgabe zu kippen und die verdachtslose Vorratsdatenspeicherung ersatzlos zu streichen. Für die Linksfraktion im Bundestag erklärte Jan Korte: »Das heutige Urteil ist eine wichtige Entscheidung zur Wahrung der Balance zwischen Freiheit und Sicherheit. Für den Gesetzgeber muß jedoch eines klar sein: Nicht alles, was vom Grundgesetz gerade noch gedeckt ist, muß auch gemacht werden. Es ist höchste Zeit für ein Umdenken und eine Trendwende zur Stärkung der Bürgerrechte.«