Ein 32jähriger muß in Haft bleiben, obwohl er seine Jugendstrafe von zehn Jahren verbüßt hat. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat am Dienstag erstmals die nachträgliche Sicherungsverwahrung für einen Jugendstraftäter genehmigt. Der Erste Strafsenat des BGH bestätigte damit die Entscheidung des Landgerichts Regensburg, das den Mann als gefährlich für die Allgemeinheit beurteilt hatte.
Erst im Dezember vergangenen Jahres hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einer wegweisenden Entscheidung die in Deutschland geltende Regelung der nachträglich verhängten Sicherungsverwahrung für menschenrechtswidrig erklärt. In bestimmten Fällen liege ein Verstoß gegen das Verbot der rückwirkenden Änderung von Strafvorschriften vor, so die Begründung. Der Richterspruch ist aber noch nicht rechtskräftig. Die Bundesregierung will die Große Kammer des Menschenrechtsgerichtshofs anrufen. Der BGH verhandelte am Dienstag erstmals über eine andere Konstellation, nämlich über die Sicherungsverwahrung eines nach Jugendstrafrechts Verurteilten.
Daniel I. hatte in der Nähe von Regensburg eine Joggerin überfallen und getötet. Der Angeklagte wurde 1999 wegen Mordes zu zehn Jahren Jugendstrafe verurteilt. Kurz vor Ende der Haftzeit drängte der Freistaat Bayern auf die rasche Verabschiedung eines Gesetzes, um seine Entlassung zu verhindern. Daraufhin ordnete das Landgericht Regensburg im Juni 2009 eine nachträgliche Sicherungsverwahrung an. Das bedeutet, daß I. womöglich nie mehr in Freiheit kommen wird.
Erst wenige Tage vor der Entscheidung des Landgerichts Regensburg hatte der Bundestag mit einer Neuregelung ermöglicht, daß die Verhängung der Sicherungsverwahrung auch im Jugendstrafrecht und noch dazu nachträglich möglich ist. Den Vorschlag hatte die damalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) gemacht. Sie bezeichnete die Sicherungsverwahrung seinerzeit als »Ultima ratio«, also als letztes Mittel zum Schutz der Allgemeinheit.
In der Vergangenheit galten für diese Maßnahme sehr hohe Hürden. Eine nachträgliche Anordnung war ausgeschlossen. Jugendliche waren grundsätzlich nicht betroffen. Durch eine Reihe von Verschärfungen hat der Bundestag den Anwendungsbereich der Sicherungsverwahrung, ein Relikt aus dem Faschismus, im Laufe der letzten Jahre immer weiter ausgedehnt.
Vor dem Bundesgerichtshof hatte der Anwalt von I. beantragt, die Neuregelung dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Die Bundesanwaltschaft forderte hingegen, die Revision zu verwerfen und das Urteil aus Regensburg zu bestätigen. Der Revisionsspezialist Gunter Widmaier kritisierte, daß das Gesetz Jugendliche strenger behandele als Erwachsene und für die Betroffenen »unberechenbar« sei. Der Fall müsse daher mit Blick auf das noch nicht rechtskräftige Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strasbourg entweder ausgesetzt oder dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden.
Die nachträgliche Sicherungsverwahrung für Jugendliche hatte immer wieder zu Auseinandersetzungen geführt, weil der Ansatz beim Jugendstrafrecht anders ist als beim Erwachsenenstrafrecht: Statt der Bestrafung sollte die Erziehung im Vordergrund stehen. Jugendstrafrecht wird in jedem Fall angewendet für jugendliche Straftäter von 14 bis 17 Jahren. Wer bei der Tat zwischen 18 und 21 Jahren alt war, wird ebenfalls nach Jugendstrafrecht behandelt, wenn er bei der Tat noch »unreif« war, »nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand«, wie es im Gesetz heißt.
Unabhängig vom Urteil aus Karlsruhe hat Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) schon Mitte Januar 2010 im Rechtsausschuß des Bundestags ein neues Konzept für die Sicherungsverwahrung angekündigt.