Frontex – dieser Name steht für »Europäische Grenzschutzagentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union«. Sie wurde nach einem Beschluß des Rates der EU vom 26. Oktober 2004 zum 1. Mai 2005 eingerichtet. Im Oktober 2005 hat die Agentur mit Hauptsitz in Warschau, an deren Spitze momentan der finnische Brigadegeneral Ilkka Laitinen als Exekutivdirektor steht, ihre Arbeit aufgenommen. Zur Zeit verfügt Frontex über knapp 220 Mitarbeiter aus den EU-Nationen. Finanziert wird die Agentur aus Zuschüssen der EU und Beiträgen der EU-Staaten. Das Budget stieg von 19 Millionen Euro im Jahr 2006 auf rund 83 Millionen Euro 2009; im laufenden Jahr beträgt es etwa 88 Millionen.
Zu den Aufgabenbereichen von Frontex gehören die sogenannten Risikoanalysen, mit der neue Migrationsbewegungen und deren Routen vorhergesagt werden sollen. Ziel ist dann, in gemeinsamen Operationen der Mitgliedsstaaten diese Wege zu versperren. Über Fortbildungen und Trainingsprogramme sollen Standards und Arbeitsweisen der europäischen Grenzpolizeien vereinheitlicht werden.
Die Grenzen von Polizei und Militär verschwimmen dabei zunehmend. Denn in den einzelnen Mitgliedsstaaten ist der Grenzschutz unterschiedlich organisiert. Während er in Deutschland durch die Bundespolizei durchgeführt wird, ist in Italien die Finanzverwaltung zuständig; in einigen Staaten sind militärische bzw. paramilitärische Einheiten zumindest hilfsweise im Grenzschutz tätig, wie etwa in Spanien die Guardia Civil. Gerade Einsätze auf hoher See erfordern Schiffe und Gerät, wie sie normalerweise vom Militär eingesetzt werden. Bei der Entwicklung von Technologien und Instrumenten zur räumlichen Überwachung, für die die EU milliardenschwere Programme aufgelegt hat, geht es häufig um »dual use«-Technologien: Was dort entwickelt wird, kann später sowohl militärisch als auch »zivil«, für den Grenzschutz, genutzt werden. Das gilt beispielsweise für Radartechnologie, Drohnen und Geräte zur Auswertung von Satellitenbildern.
Modellprojekte an den Seegrenzen
Laut Aussage von Exekutivdirektor Laitinen werden 30 Prozent des Budgets dieses Jahres für Einsätze an den Seegrenzen der EU verwendet. Diese reichen mit dem Gebiet um die Kanarischen Inseln immerhin bis 2000 Kilometer südlich des europäischen Festlands. In den letzten Jahren hat Frontex dort »Operationen« durchgeführt, die als Modellprojekte für zukünftige Kooperationen von Mitgliedsstaaten und der Agentur dienen. Damit sind diese Operationen, die von den »Frontex Joint Support Teams« (FJST) durchgeführt werden, das eigentliche Kerngeschäft der Agentur.
Die FJST bestehen aus Beamten jener Mitgliedsstaaten, die sich an den vorher von der Warschauer Frontex-Zentrale entwickelten Operationen beteiligen wollen. Die Grenzschützer stehen für die Dauer des Einsatzes Frontex zur Verfügung, die Befehlsgewalt hat allerdings der jeweilige Einsatzstaat inne. Für diese Operationen hat die Agentur selbst nur 50 Mitarbeiter zur Verfügung. Neben den Frontex-Mitarbeitern und den Mitgliedern der FJST sind je nach Operation auch noch weitere Kooperationspartner beteiligt, zum Beispiel Europol.
Die Operationen tragen sämtlich Namen aus der griechischen Mythologie und sollen der inhumanen Grenzabschottung einen humanistischen Anstrich geben. Sie decken jeweils bestimmte Grenzregionen ab und finden meist jährlich statt. Gleich bei der ersten aufsehenerregenden Operation 2006 mußte eine griechische Göttin herhalten. Im Rahmen von »Hera« wurden Tausende Flüchtlinge beim Versuch abgefangen, von der afrikanischen Westküste auf die Kanaren überzusetzen. 2006 begann eine Reihe von Operationen mit dem Namen »Nautilus« zur Überwachung des Seeraums vor Malta, Lampedusa und Sizilien. Die »Poseidon«-Operationen haben als Schwerpunkt die griechisch-türkische Grenze. Über 2000 Migranten wurden allein 2007 in der Ägäis abgefangen oder an der Landgrenze zurückgewiesen. Jährlich gibt es auf See außerdem Einsätze mit dem Namen »Hermes« (Überwachung des Mittelmeers westlich von Italien) und »Minerva« (spanische Mittelmeerküste). An der Grenze Polens findet »Ariadne« statt, an den südöstlichen Landaußengrenzen »Herakles«. Auch an den Flughäfen ist Frontex aktiv, zum Beispiel im Rahmen von »Amazon«. Frontex-Mitarbeiter und Beamte aus den Mitgliedsstaaten unterstützten ihre Kollegen an einer Reihe von europäischen Flughäfen bei der Überprüfung von Migranten, insbesondere aus Südamerika. Befürchtet wurde die massenhafte Einreise mit gefälschten Papieren. Mit zehn Prozent machen die Ausgaben für diese Überwachung der Luftgrenze immerhin den drittgrößten Posten im Budget von Frontex aus. Die Operationen gehen auch immer mit Schulungen in der Anwendung neuester Technologie einher. Darin liegt ein weiterer Schwerpunkt der Tätigkeit von Frontex: durch die Entwicklung von technischer Ausrüstung und die Durchführung von Schulungen die Einsatzführung der Grenzschützer in Europa zu vereinheitlichen und insgesamt zu effektivieren.
Vorverlagerung der »Abwehr«
Die Mittelmeeroperation »Nautilus 2008« zeigte, daß die Abschottungspolitik der EU ganz wesentlich auf die Kollaboration der Transitstaaten angewiesen ist. Die verstärkte Frontex-Präsenz während der Operation führte nämlich zu einer dramatischen Zunahme der Flüchtlingszahl, wie General Laitinen im September 2008 eingestehen mußte. Denn die Flüchtlinge verließen sich darauf, von den Frontex-Patrouillien gerettet und in die EU gebracht zu werden. Eine Zurückschiebung nach Libyen mußten die Migranten nicht fürchten, weil Tripolis sich weigerte, sie aufzunehmen. Doch dies änderte sich, nachdem die EU und Italien ihre Geldbörsen geöffnet hatten: Besonders italienische Küstenboote begannen nach einem Abkommen mit Libyen 2009, die Flüchtlinge dorthin abzudrängen, obwohl das nordafrikanische Land die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet hat. Human Rights Watch kritisierte, daß viele Flüchtlinge dort mißhandelt würden. Ein ähnliches Bild zeichnete Amnesty International 2008 von der Situation in Mauretanien. Dorthin waren im Rahmen von »Hera 2008« Migranten zurückgedrängt worden, die auf die Kanaren übersetzen wollten. Tausende dieser Flüchtlinge wurden anschließend festgenommen, mißhandelt und dann in den Senegal oder nach Mali abgeschoben oder ohne Verpflegung an der Grenze ausgesetzt. Für Frontex waren die »Hera«-Operationen dagegen ein Erfolg. Nur noch 9615 Boatpeople erreichten 2008 die Kanaren – gegenüber 30000 im Jahr 2006.
Diese Abschottungseinsätze müssen im Kontext eines wesentlichen strategischen Bausteins des europäisierten Grenzschutzes betrachtet werden: Es geht um die Vorverlagerung der Flüchtlingsabwehr. Italien und Großbritannien haben sogenannte Rückübernahmeabkommen mit Libyen geschlossen – aus und über Libyen eingereiste »illegale« Migranten müssen von Libyen »zurückgenommen« werden. Griechenland hat ein entsprechendes Abkommen mit der Türkei, begleitet von einem Kooperationsabkommen zwischen der Türkei und Frontex. Indem die EU-Länder Nachbarstaaten zu solchen Rückübernahmeabkommen drängen, entwickeln diese selbst ein erhöhtes Interesse daran, ihre Grenzen dichtzumachen. Migrationsforscher beobachten schon länger, daß die traditionelle Durchlässigkeit der Grenzen in Afrika schwindet. Weil die ehemaligen Transitstaaten nicht auf den illegalisierten Migranten sitzenbleiben wollen, schotten sie sich selbst ab.
Perfektionierung der Abschottung
Nun hat die Europäische Kommission am 24.Februar 2010 dem Rat der Innen- und Justizminister einen Entwurf vorgelegt, mit dem die Frontex-Verordnung geändert werden soll. Hintergrund des Entwurfs ist die nach Meinung von Frontex ungenügende materielle und personelle Ausstattung der Grenzschutzagentur und ihre Abhängigkeit von den nationalen Regierungen der EU-Staaten. Evaluierungen der letzten beiden Jahre hatten ergeben, daß die Mitgliedsstaaten in der Vergangenheit ihre Zusagen an Personal und Material meist nicht eingehalten haben. So setzte die Politik zeitweilig auf sogenannte Rapid Border Intervention Teams (RABITs), die unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft beschlossen worden sind. Dabei handelt es sich um Soforteinsatzteams, die auf Anforderung eines Mitgliedstaates aktiv werden können. Gedacht war das für akute Fälle, in denen ein Staat besonders starke Einwanderung verzeichnet und die »Abwehr« der Flüchtlinge nicht sofort mit eigenen Mitteln gewährleisten kann. Dafür steht Frontex ein Personalpool von Grenzschützern zur Verfügung, der von den Mitgliedsstaaten gefüllt werden soll. Frontex selbst verfügt kaum über ausgebildete Grenzschutzbeamte. In der Praxis ist es bislang aber nicht zum Einsatz dieser Soforteinsatzteams gekommen, was maßgeblich an der mangelnden Bereitschaft der EU-Staaten liegt, Personal gleichsam an Frontex abzugeben. An Übungen der RABITs beteiligten sich auch von deutscher Seite 2009 lediglich sechs Beamte.
Außerdem gibt es eine sogenannte tool box, ein Zentralregister für die von den Mitgliedsstaaten bereitgestellten Ausrüstungsgegenstände. Auf dem Papier verfügt Frontex für Soforteinsätze über 112 Schiffe, rund 45 Hubschrauber und Flugzeuge sowie Tausende Beamte der nationalen Innenministerien und Polizeibehörden. In der Praxis muß Frontex, um auf Material oder Personal zugreifen zu können, als Bittsteller bei den Mitgliedsstaaten auftreten – und wird dann häufig abgewiesen. So konnten nach Angaben der EU-Kommission im Jahr 2008 von den zugesagten 18 Flugzeugen nur acht, fünf statt 20 Helikopter und zwölf statt 91 Schiffe zum Einsatz kommen – und das im Rahmen der langfristig geplanten Frontex-Operationen. Soforteinsätze fanden bislang gar nicht statt.
Die Abschottungsagentur ist durch diese Zurückhaltung der meisten EU-Länder nicht so handlungsfähig, wie sie und vor allem die Grenzstaaten der EU das gern hätten. An den Deutschen scheitert es nicht: 2009 beteiligten sich acht Helikopter mit insgesamt 100 Mann Personal (Piloten, technisches Personal) an Einsätzen um Malta und an den Landaußengrenzen in Osteuropa. Sechs Polizeibeamte kamen mit Wärmebildkameras bei einer Operation an den griechischen Landgrenzen zu Albanien und der Türkei zum Einsatz. Nach der nun von der schwedischen EU-Justizkommissarin Cecilia Malmström ausgearbeiteten Neufassung der Frontex-Verordnung sollen die Mitgliedsstaaten der Agentur mehr Personal und Ausrüstung zur Verfügung stellen. Die Zusagen der Mitgliedsstaaten sollen eine höhere Verbindlichkeit bekommen. Daneben soll Frontex schrittweise eigene Ausrüstung anschaffen oder leasen können. Nationale Grenzschutzexperten sollen zeitweise unmittelbar bei der Agentur angestellt werden, um tatsächlich verfügbar zu sein. Etatsteigerungen waren für Frontex ohnehin geplant, einen weiteren Zuschlag wird es aber nicht geben. Im EU-Haushalt sind allerdings weitere Töpfe enthalten, die auch von Frontex angezapft werden können. 2010 stehen beispielsweise 208 Millionen Euro für den »Außengrenzenfonds« und 88 Millionen Euro für den »Rückkehrfonds« zur Verfügung.
Wichtigster Reformpunkt ist aber, daß Frontex zukünftig ein stärkeres Gewicht bei der Planung und Durchführung der Operationen bekommen soll. Die Grenzschutzagentur soll eigeninitiativ tätig werden und Grenzpatrouillen gemeinsam mit dem jeweiligen Einsatzstaat leiten. Dafür wird ein Einsatzplan erstellt und Anforderungen an einzusetzendes Personal und Gerätschaften festgelegt. Zudem soll Frontex ermächtigt werden, Drittländer technisch zu unterstützen, Verbindungsoffiziere in diese zu entsenden und dort Büros zu eröffnen. Gemeint sind Staaten wie Libyen, Marokko, Tunesien, Mauretanien oder auch die Ukraine, die in die europäische Flüchtlingsabwehr eingebunden werden. Daß die nordafrikanischen Staaten regelmäßig Menschenrechte mit Füßen treten und – wie Libyen– sogar selbst zu den Verfolgerstaaten zu zählen sind, wird bei dieser Kooperation ausgeblendet.
Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft die verstärkte Rolle der Agentur bei Abschiebungen (»Rückführungen« im Jargon der Abschottungsbehörde). Bereits in den letzten Jahren organisierte Frontex Massenabschiebungen, unter anderem nach Nigeria und Vietnam. Für dieses Jahr sind elf Prozent des Budgets für solche Maßnahmen vorgesehen. Dieser Tätigkeitsbereich soll deutlich ausgebaut werden, künftig wird monatlich der »Abschiebebedarf« der Mitgliedsstaaten erhoben, um entsprechende Sammelabschiebungen zu koordinieren. In diesem Zusammenhang ist ein Verhaltenskodex für die von Frontex koordinierten Abschiebungen auf dem Luftweg vorgesehen. Vorgeschlagen wird, daß unabhängige Beobachter, etwa vom Roten Kreuz, während der gesamten Abschiebung anwesend sind. Grenzschutzbeamte sollen von Frontex künftig zu den Themen Grundrechte und internationaler Schutz unterrichtet werden.
Anfang März legte die Europäische Kommission nach und schlug vor, künftig zu prüfen, »inwieweit die Agentur auf die Beschäftigung unabhängiger Grenzschutzbeamter angewiesen ist« und welche rechtlichen Rahmenbedingungen hierfür geschaffen werden müßten. Das ist zwar nur ein Prüfauftrag, zeigt aber die Denkrichtung der obersten Abschotter an: Mit eigenen Beamten wäre Frontex unabhängig von der – wechselhaften – Kooperation der EU-Staaten.
Menschenrechtslage unklar
Die regelmäßige Erwähnung von Menschenrechtsaspekten geht auch auf die öffentliche Kritik zurück. Im Frontex-Evaluierungsbericht vom 15. Januar 2009 heißt es, der Druck humanitärer Organisationen habe die Menschenrechtsfrage auf die Agenda der Grenzschutzagentur gesetzt. Aufgrund der verstärkten Kritik in bezug auf mögliche Menschenrechtsverletzungen bei ihren Operationen stehe Frontex vor neuen Herausforderungen hinsichtlich der Kommunikation. Wohlgemerkt: Nicht etwa die Praxis der Flüchtlingsabwehr, sondern die Frage, wie sich diese in der Öffentlichkeit besser verkaufen läßt, wurde als Problem erkannt. So forderte der Innenausschuß des Europäischen Parlaments am 10. März 2009, »Schutz- und Menschenrechtsbelange« in die Frontex-Mission zu integrieren.
Die Frage des Flüchtlings- und Menschenrechtsschutzes ist besonders für die Einsatzrichtlinien von Frontex relevant. Diese sind im Grenzkodex der EU in den sogenannten Frontex-Leitlinien niedergelegt und von den zuständigen Ratsgremien im Januar dieses Jahres verabschiedet worden. Passieren sie auch das Europäische Parlament (EP), wovon auszugehen ist, werden sie spätestens Ende Mai 2010 endgültig vom EU-Rat verabschiedet. Damit geht ein mehrjähriger Diskussionsprozeß in den EU-Gremien zu Ende, der im Dezember 2005 mit dem Auftrag der Kommission für ein Gutachten zu völkerrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit Frontex-Einsätzen auf hoher See begann. Es ist ein kleiner Erfolg von Menschenrechtsrechtsorganisationen und Oppositionsfraktionen im EP und im Bundestag (in erster Linie Grünen und Linken), daß nun in den Leitlinien klargestellt wird, daß die Rechte der Flüchtlinge ausdrücklich beachtet werden sollen. Insbesondere wird festgelegt, daß Schutzsuchende nicht in ihren Verfolgerstaat zurückgeschoben werden dürfen (»Refoulement-Verbot«). Dies umfaßt auch die Rückschiebung in Transitstaaten, wenn von dort die Ausweisung in den Herkunftsstaat droht (»Kettenabschiebung«). Nunmehr heißt es in den Grundsätzen des Entwurfs der Frontex-Leitlinien ausdrücklich: »Keine Person darf unter Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung ausgeschifft oder auf andere Weise den Behörden eines Landes überstellt werden, in dem die Gefahr der Ausweisung oder Rückführung in ein anderes Land unter Verstoß gegen diesen Grundsatz besteht.«
Diese Leitlinien waren in der Vergangenheit Gegenstand zahlreicher parlamentarischer Anfragen im Bundestag insbesondere der Linken und der Grünen (wobei die Intention der Linkspartei in der Abschaffung, diejenige der Grünen in der Modifizierung von Frontex liegt). Damit sollte die Bundesregierung veranlaßt werden, sich vor allem für die Geltung des Zurückweisungsverbotes im Rahmen von Frontex-Einsätzen auch auf hoher See einzusetzen. Linke und Grüne vertraten die Ansicht, daß aufgegriffene Schutzsuchende in die EU zur Durchführung eines Asylverfahrens zu bringen seien. Es müsse auf jeden Fall ausgeschlossen werden, daß sie zurückgeschoben werden. Beamte der EU-Staaten seien auch außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets an die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) gebunden (»extraterritoriale Wirkung« der GFK). Die Bundesregierung antwortete bis vor kurzem immer, daß sie die EU-Kommission dabei unterstütze, »anerkannte« Standards im Völker- und Europarecht in die Leitlinien einzubeziehen. Daß die GFK auch auf hoher See gelten soll, sei bislang aber nicht »allgemein anerkannt«. Damit drohte das Refoulement-Verbot ins Leere zu laufen.
Wertlose Zusagen
Nun verkauft die Bundesregierung es als ihren Erfolg, daß die Geltung des Zurückweisungsverbots in den neuen Frontex-Leitlinien verankert wurde. Jedoch: Faktisch droht diese Verankerung, ein reiner Papiertiger zu bleiben. Denn die Bundesregierung räumt in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion (Bundestags-Drucksache 17/685) von Anfang März 2010 ein, daß die konkrete Ausgestaltung des Zurückweisungsverbots in den Leitlinien nicht geregelt ist. Diese »sollen als praktischer Anhalt für die eingesetzten Beamten dienen, damit die Einhaltung des internationalen Rechts gewährleistet wird. Eine Konkretisierung der Leitlinien ist im jeweiligen Einsatzplan unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einsatzes vorzunehmen«, heißt es in der Antwort der Bundesregierung. Doch festgelegt werden diese Einsatzpläne von Frontex und der Grenzbehörde des Einsatzstaates – also genau von jenen Institutionen, deren Zweck die Flüchtlingsabwehr ist. Unklar ist so weiterhin, wie aufgegriffene oder gerettete Personen »auf geeignete Weise« darüber informiert werden, daß sie »etwaige Gründe vorbringen können«, die gegen eine Zurückweisung sprechen. Ein solcher Grund wäre beispielsweise der Wunsch, Asyl zu beantragen. Wenn die Bundesregierung in ihrer Anfragebeantwortung schreibt: »Die beteiligten Einsatzkräfte an Bord des Schiffes beurteilen die vorgebrachten Gründe nach Einholung und Auswertung aller verfügbaren Informationen auf Grundlage der konkreten Umstände im Einzelfall«, ist das schlicht absurd. Dazu muß man sich nur einmal vergegenwärtigen, daß das alles auf hoher See stattfinden soll, womöglich auf akut vom Kentern betroffenen Schiffen, und daß die Frontex-Beamten auf Menschen stoßen, deren Sprache sie häufig nicht verstehen. Die Zusicherung, daß sich Frontex an menschenrechtliche Abkommen hält, bleibt damit vorerst eine hohle Phrase.
Daß keine weitergehenden Regelungen in den Leitlinien enthalten sind, lag auch am Widerstand von Ländern wie Italien oder Malta, die in den vergangenen vier Jahren zahlreiche Frontex-Operationen im Mittelmeer durchgeführt hatten. »Wenn die Regelungen geändert werden, dann wird sich Malta nicht mehr an den Frontex-Operationen beteiligen«, hatte der maltesische Justizminister Carmelo Mifsud Bonnici (PN; Konservative) Anfang Februar 2010 angedroht. Auch Italien hatte Widerstand gegen eine zu weitgehende Änderung der Einsatzleitlinie angekündigt.
Wenn auch die zumindest auf dem Papier bestehenden flüchtlingsrechtlichen Verbesserungen in den Frontex-Leitlinien zu begrüßen sind, dürfen diese nicht darüber hinwegtäuschen, daß die gleichzeitig neu gefaßte Frontex-Verordnung auf die Schaffung einer noch effektiveren und schlagkräftigeren Flüchtlingsabwehr weit vor den Toren der Festung Europa abzielt. »Frontex tötet!« – dies gilt leider auch weiterhin. Nur, daß Frontex die Drecksarbeit zunehmend auf Drittstaaten abwälzt.