Das Bundeskabinett hatte die von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) vorgelegten Reformpläne bereits am Mittwoch beschlossen.
Notwendig wurde die Reform nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Dezember 2009, der in der deutschen Praxis der Sicherungsverwahrung einen Verstoß gegen das in der Europäischen Menschenrechtskonvention enthaltene Verbot rückwirkender und doppelter Bestrafung sieht.
Die unter der SPD/Grünen-Regierung 2004 eingeführte nachträgliche Sicherungsverwahrung, die angeordnet werden kann, wenn sich eine weitere Gefährlichkeit des Täters erst während der Strafhaft herausstellt, soll nun abgeschafft werden. In diesem Punkt konnte sich Leutheusser-Schnarrenberger gegenüber dem Koalitionspartner CDU/CSU durchsetzen. Bereits zum Zeitpunkt der Verurteilung müßte die Maßnahme vorbehaltlich angeordnet werden. Nach den Plänen der Bundesregierung soll sie künftig zudem auf Gewalt- und Sexualstraftäter beschränkt werden, aber keine Anwendung bei Vermögensdelikten ohne Gewaltanwendung finden. Aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs müssen nun 70 bis 80 Menschen entlassen werden. Um diese weiter zu überwachen, einigte sich das Bundeskabinett auf die Einführung elektronischer Aufenthaltsüberwachung mit GPS-Ortung. »Die Fußfessel soll nur für die Fälle in Anwendung kommen, für die die Sicherungsverwahrung verfassungsrechtlich nicht in Betracht kommt«, fordert die Bundesjustizministerin. Das nennt sie eine »grundrechtsschonende« Ausstattung dieses Instruments.
Ob die Eckpunkte und das Gesetz, von der FDP als Liberalisierung verkauft, vom Koalitionspartner CDU/CSU mitgetragen werden, ist zweifelhaft. So zeigte sich der Vorsitzende des Bundestagsinnenauschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), besorgt über »Schutzlücken« durch die Abschaffung der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Eine bislang nur im häuslichen Umfeld erprobte GPS-Ortung könne die Haft nicht ersetzen. »Ein Sexualstraftäter kommt in einer Großstadt alle paar hundert Meter an einem Spielplatz, einer Kita oder Schule vorbei. Soll dann jedes Mal Alarm ausgelöst werden?« Auch von Länderseite gibt es Kritik an den elektronischen Fußfesseln. So meint der Hamburger Justizsenator und Vorsitzende der Justizministerkonferenz, Till Steffen (Grüne), gegenüber dem NDR, bei gefährlichen Straftätern »werden wir nicht umhinkommen, solche Leute kontinuierlich polizeilich zu begleiten.«
Für die Linksfraktion nannte die stellvertretende Vorsitzende des Bundestagsrechtsausschusses Halina Wawzyniak die Einführung elektronischer Fußfesseln zur Totalüberwachung eines verurteilten Straftäters als unvereinbar mit dem Schutz der Menschenwürde. »Es geht vielmehr darum, die Ursachen kriminellen Verhaltens zu bekämpfen und endlich den Strafvollzug und das System der Bewährungshilfe auf ihre eigentliche gesetzliche Aufgabe auszurichten: die Resozialisierung«, so Wawzyniak.
Bei der auf das »Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher« aus dem Faschismus zurückgehenden Sicherungsverwahrung bleiben besonders gefährlich eingeschätzte Täter auch nach dem Ende ihrer Strafhaft eingesperrt.