Bleiberecht für rund 12000 akut von Abschiebung bedrohte Roma aus dem Kosovo fordern die Bundestagsfraktionen von Linkspartei und Bündnis90/Die Grünen. Dazu hat am Montag eine Sachverständigenanhörung des Bundestagsinnenausschusses stattgefunden. Die Regierungsfraktionen hatten als Experten ausschließlich Vertreter der Exekutive benannt, deren alltägliches »Geschäft« die Organisation und Legitimierung der Abschiebungen ist. Mit der Idee einer unabhängigen Beratung des Parlaments habe dies nichts gemein, kritisierte die Linkspartei.
Stephan Dünnwald von der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl beklagte eine »unerträgliche, falsche Darstellung der Zustände« im Kosovo durch den Vertreter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Mit der maximal sechsmonatigen Unterstützung durch das deutsche Rückkehrprojekt »URA2« würde der »Zeitpunkt des Absturzes ins Elend« allenfalls hinausgeschoben. Sebastian Ludwig vom Bundesverband Diakonie erinnerte daran, daß viele internationale Organisationen eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte der Roma im Kosovo festgestellt haben. Selbst der Leiter des deutschen Rückkehrprojekts sehe Abschiebungen von in Deutschland Aufgewachsenen oder von Personen »ohne belastbare familiäre Bindungen« im Kosovo als problematisch an.
Johannes Wedenig vom Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) wies auf Grundlage einer aktuellen empirischen Studie darauf hin, daß das Haushaltseinkommen abgeschobener Roma mit 80 Euro monatlich noch einmal deutlich unter dem Niveau derjenigen liege, die den Kosovo niemals verlassen hätten. Etwa 40000 Menschen warten im Kosovo derzeit auf eine Wohnung. Die Arbeitslosigkeit abgeschobener Roma beträgt weit über 90 Prozent, die staatliche Sozialhilfe hingegen maximal 75 Euro pro Familie – und nur ein Viertel aller bedürftigen Roma-Familien hat überhaupt Zugang zu dieser Hilfe.
Zum Eklat kam es, als Reinhard Grindel (CDU) von seinem Parteikollegen, dem ehemaligen Bundesminister Christian Schwarz-Schilling, verlangte, dieser solle einen angeblichen Vergleich der Mitarbeiter der Ausländerbehörden mit der Gestapo revidieren. Er könne nicht zurücknehmen, was wahr sei, entgegnete Schwarz-Schilling, der den unterstellten Vergleich in der Form gar nicht vorgenommen hatte. In eindringlichen Worten hatte er vielmehr berichtet, daß er aufgrund der in seiner Kindheit miterlebten Gestapo-Verhöre seiner Familie die Netzwerke der Angst, die Roma angesichts der derzeit drohenden Festnahme und Abschiebung bestimmten, gut nachempfinden könne. Die viel beschworenen »Lehren aus der Vergangenheit« dürften sich nicht auf Gedenkstunden und Denkmäler beschränken. Jede zweite Roma-Familie habe Verwandte in den Konzentrationslagern der Nazis verloren. In historischer Verantwortung habe man in bezug auf Juden »das Menschenmögliche getan«, sagte Schwarz-Schilling vor dem Hintergrund der Aufnahme von mehr als 200000 Juden aus der ehemaligen Sowjetunion. Er stellte die Frage in den Raum, wie man »bei gleicher Betroffenheit solche Unterschiede machen« könne und forderte ein Daueraufenthaltsrecht für Roma-Familien aus dem Kosovo. Das müsse auch für bereits Abgeschobene geltend gemacht werden. Die hier geborenen Kinder befänden sich nach ihrer Abschiebung in einem »Kulturschock« in einem ihnen fremden Land, so der ehemalige Hohe Repräsentant für Bosnien-Herzegowina. »Deutschland ist ihre Heimat.« Hier seien die Roma-Kinder in einem hohen Maße integriert, im Kosovo könnten drei Viertel von ihnen wegen Armut oder fehlender Sprachkenntnisse die Schule nicht mehr besuchen, warnte auch UNICEF-Vertreter Wedenig. Zwei Drittel der abgeschobenen Kinder seien in Deutschland geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen. Die Minderjährigen würden durch die Abschiebung um ihre Zukunftschancen gebracht und ihre Familien in Armut gezwungen. Für eine stärkere Berücksichtigung des Kindeswohls treten übrigens auch die Regierungsfraktionen ein – auf dem Papier.