Es handelt sich um die erste Volkszählung seit dem Jahr 1987. Damals hatte es massive Proteste gegen die Totalerfassung gegeben. Ursprünglich war die Zählung schon für 1983 vorgesehen gewesen, das Bundesverfassungsgericht hatte sie aber in weiten Teilen für verfassungswidrig erklärt und das neue Grundrecht auf „informationelle Selbstbestimmung“ postuliert. Die Bürgerinnen und Bürger haben prinzipiell das Recht, über ihre Daten selbst zu bestimmen, der Staat darf darin nur verhältnismäßig und mit gutem Grund eingreifen. Auch die (überarbeitete) Zählung 1987 war stark umstritten und wurde von Hunderttausenden Menschen boykottiert.
Diesmal dagegen wird die direkte Konfrontation weitgehend vermieden. Die Volkszählung wird größtenteils „registergestützt“ ablaufen, das heißt: Nur eine Stichprobe der Bevölkerung (maximal zehn Prozent) bekommt Besuch von Volkszählern. Hinzu kommen sämtliche Haus- und Wohnungsbesitzer, die Angaben zu ihren Immobilien machen müssen. Der Schwerpunkt liegt aber auf einer Zusammenführung jener Daten, die bei Meldebehörden und der Bundesagentur für Arbeit bereits erhoben sind. Davon kriegt man als Einzelperson nicht direkt etwas mit.
Harmloser ist das mindestens 700 Millionen Euro teure Projekt deswegen nicht. Der „Arbeitskreis Zensus“ legt seine Kritik vor allem darauf, dass die Daten zweckentfremdet würden: Die Meldebehörden haben persönliche Angaben schließlich zu einem bestimmten Zweck erfasst, genauso wie die Bundesagentur für Arbeit. Diese Daten nun zusammenzuführen, ohne dass die „Eigentümer“ dieser Daten, also die Bürgerinnen und Bürger, nach ihrer Einwilligung gefragt werden, verstoße gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Der Rechtsanwalt Rolf Gössner (Sprecher der Internationalen Liga für Menschenrechte), erklärt dazu: „Mit den zweckentfremdeten Informationen aus diversen staatlichen Datenbanken, angereichert mit sensiblen Daten einer Zwangsbefragung, entstehen hoch problematische Personenprofile.“
Sowohl die Daten der Meldebehörden als auch der Bundesagentur für Arbeit sind per se persönlicher Art: Arbeitsort, ausgeübter Beruf, Schulabschluss usw. Mit den Meldedaten werden auch bestehende Übermittlungssperren sowie die Gründe dafür in die neue Riesendatei übertragen – das betrifft beispielsweise Opfer von Gewalttaten.
Bei der Stichprobe wird es dann noch persönlicher. Haushaltsgröße, Familientyp und Erwerbsstatus sind noch die harmloseren Fragen. Besonders in der Kritik stehen die „diskriminierungsrelevanten“ Fragen: So müssen auch in Deutschland Geborene sich zu ihrem etwaigen Migrationshintergrund äußern und angeben, wenn die Eltern aus dem Ausland zugewandert sind. Außerdem wird nach der Zugehörigkeit zu einer „öffentlich-rechtlichen“ Religionsgemeinschaft gefragt. Bei Muslimen, die solchen Körperschaften nicht angehören, gehen die Fragen noch mehr ins Detail: Sie sollen differenziert Angaben dazu machen, ob sie sich dem sunnitischen, schiitischen oder alevitischen Islam zugehörig fühlen. Diese Angaben – und nur diese – sind zwar freiwillig, zu fragen ist aber nicht nur, wie intensiv die Befragten darauf hingewiesen werden sondern worin überhaupt der Sinn einer solch akribisch-differenzierten Erfassung von Muslimen liegen soll. Bei allen anderen Fragen besteht, wie schon in früheren Zählungen, Auskunftspflicht, wer verweigert, dem droht ein Bußgeld in vermutlich dreistelliger Höhe.
Gössner wie auch andere Kritiker verweisen auf weitere bedenkliche Punkte: Zum einen wird den Daten eine sogenannte Ordnungsnummer zugeteilt. Damit bleiben, bis zur Löschung vier Jahre später, die Namen der Befragten sowie ihre Angaben zuordnungsfähig. Eine solche „Personenkennziffer“ hatte das Bundesverfassungsgericht aber 1983 ausdrücklich verboten. Zum anderen gelten grundsätzliche Bedenken der geplanten Speicherung in einer neuen, zentralen Datenbank, weil diese missbrauchsanfällig sei. Eine Riesendatei mit aktuellen Angaben zu Adressen, Alter, Einkommen und Beruf ist ein Eldorado für kriminelle Datendiebe. Auch der Staat selbst könnte geneigt sein, für heute noch gar nicht definierte Zwecke auf die Datei zuzugreifen. „Terrorabwehr“ oder Kriminalitätsbekämpfung sind bekanntlich immer für einen Grundrechtsverstoß gut, und das Beispiel der Mautdaten zeigt, dass der Verwendungszweck von Datenerhebungen wandelbar ist. Den offiziellen Verwendungszweck der Erhebung hält beispielsweise Schleswig-Holsteins Datenschützer Thilo Weichert für überflüssig. Dort, wo die Daten nötig seien (wie etwa für die Planung von Schulbauten oder Verkehrswegen), fielen sie ohnehin an, so dass „eine solche Erhebung nicht erforderlich ist.“ Sie sei lediglich „aufwändig, teuer und – natürlich – eine Gefährdung für den Datenschutz der Menschen.“
Der „AK Zensus“ betreibt parallel zur Verfassungsbeschwerde eine Kampagne gegen die Zählung (www.zensus11.de). Proteste scheinen bitter nötig, auch wenn die Mobilisierung schwer fallen könnte: Zum einen, weil eben nur eine Minderheit der Bevölkerung direkt befragt wird, zum anderen, weil die Angriffe an der Datenfront heute so vielfältig sind, dass die Fokussierung auf nur ein Projekt gar nicht mehr geht. Zeitgleich muss man schließlich auch gegen ELENA vorgehen, das Beschäftigte ausspioniert, und auch die Vorratsdatenspeicherung der Telekommunikationsdaten ist längst nicht vom Tisch. Das zeigt, wie notwendig eine kontinuierliche Bürgerrechtsarbeit auch im Datenschutzbereich ist.